Oppositionelle riskieren in Ägypten Leib und Leben

Kairo (APA/dpa) - In Kairo halten Straßenkünstler das Andenken an eine Revolution wach, an die sonst kaum noch etwas erinnert. Wenige mutige...

Kairo (APA/dpa) - In Kairo halten Straßenkünstler das Andenken an eine Revolution wach, an die sonst kaum noch etwas erinnert. Wenige mutige Aktivisten und Aktivistinnen fordern noch die Menschenrechte ein. Die meisten Bürger haben sich aber mit dem restaurierten Sicherheitsstaat abgefunden.

Wenn der Street-Art-Künstler Ammar Abo Bakr aufbricht, um in Kairo graue Wände zu bemalen, dann meist abends. „Am besten am Freitag. Da ist es ruhig, kein Verkehr“, sagt er und zieht an seiner Zigarette. Der 35-Jährige hat die ägyptische Revolution von 2011 und die vielen Kämpfe danach künstlerisch begleitet. Seine pointierten Werke schöpfen aus der alt-ägyptischen Bilderwelt und zieren manchen Straßenzug im Umfeld des Tahrir-Platzes, des Zentrums des Aufstands von 2011, der den Langzeitherrscher Hosni Mubarak zum Abgang zwang.

Die Revolution scheint inzwischen weit weg. Heute regiert Ex-Armeechef Abdel Fattah al-Sisi als Präsident das Land. Zehntausende Andersdenkende wurden seither inhaftiert. Dennoch wird der autokratische Machthaber am Mittwoch in Berlin vom deutschen Bundespräsidenten und der deutschen Bundeskanzlerin in Ehren als Staatsgast empfangen - was nicht nur Menschenrechtsaktivisten empört.

Demonstrationen sind in Sisis Reich so gut wie verboten. Das Wandmalen gehe noch, sagt Abo Bakr. Zuletzt verzierte er einen Bauzaun gegenüber dem Goethe-Institut mit volkstümlichen Gestalten aus Oberägypten und mit Flügel-Symbolen. Manchmal nimmt ihn die Polizei mit und lässt ihn wieder frei. „Sie wollen dann immer wissen, wer hinter mir steht, wer mich bezahlt. Sie können nicht begreifen, dass ich mir das bisschen Farbe selber kaufe.“

Abo Bakr hat viele Porträts von jungen Revolutionären gemalt, die 2011 auf dem Tahrir-Platz oder bei späteren Protesten von den Sicherheitskräften getötet wurden. In Berlin verewigte er neulich für ein Street-Art-Projekt den Tod der Aktivistin und Dichterin Shaimaa al-Sabbagh. Die zierliche junge Frau war am 24. Jänner von einem Polizisten erschossen worden, als sie auf dem Tahrir-Platz Blumen für die Toten von 2011 niederlegte. Das Wandbild nannte Abo Bakr „Revolution ohne Hoffnung und ohne Verzweiflung“.

Sabbagh war Sozialdemokratin, keine Islamistin. Doch das Regime unterdrückt Opposition jeder Couleur. Zehntausende sitzen im Gefängnis. Häftlinge werden häufig gefoltert. Todesurteile werden am Fließband verhängt. Sieben Verurteilte wurden in diesem Jahr hingerichtet. Zwei von ihnen waren zu dem Zeitpunkt, zu dem sie ein Attentat auf Polizisten begangen haben sollen, bereits verhaftet.

Gerechtfertigt wird dies mit dem „Krieg gegen den Terror“. Den Terrorismus gibt es, vor allem im Norden der Halbinsel Sinai, aber auch in Form gelegentlicher Bombenanschläge in Kairo und im Nildelta. Nachdem Sisi den gewählten Präsidenten und Islamisten Mohammed Mursi im Juli 2013 nach Massenprotesten gegen dessen autoritäre Herrschaft von der Macht gestürzt hatte, wurde die Muslimbruderschaft, aus der Mursi kam, zur Terrororganisation erklärt.

Westliche Diplomaten sehen keinen substanziellen Zusammenhang zwischen dem terroristischen Untergrund und der Bruderschaft. Doch für die Sicherheitskräfte bedeutet die Terror-Abstempelung praktisch einen Freibrief für den willkürlichen Umgang mit mutmaßlichen Islamisten.

Am 19. Mai holten Agenten in Zivil den Studenten Islam Salah Eldin Atitu aus dem Prüfungsraum der Ain-Shams-Universität in Kairo. Atitu stand der Muslimbruderschaft nahe. Am nächsten Tag tauchte sein Leichnam auf einer Wüstenstraße am Stadtrand von Kairo auf - laut Angehörigen mit Rippenbrüchen und Schädelverletzungen. Das Innenministerium erklärte hingegen, Atitu, der des Mordes an einem Polizeioberst verdächtigt wurde, sei in seinem Versteck aufgespürt worden. Weil er bewaffnete Gegenwehr geleistet hätte, sei er erschossen worden.

Die offizielle Version widerspricht der Evidenz, derzufolge Atitu von Zivilbeamten vom Universitätsgelände weggeführt wurde. Der Menschenrechtsanwalt Khalid Ali rief vergangene Woche auf einer Veranstaltung polemisch in die Runde: „Ist das Innenministerium nun zu einer Todesschwadron geworden, die Aktivisten liquidiert?“

Am selben Abend in der Journalisten-Gewerkschaft saß auch die Psychiaterin Aida Sayf al-Dawla mit am Podium. Sie leitet das Nadeem-Zentrum für die Rehabilitierung von Gewaltopfern. „Ich betreue seit 20 Jahren Folter-Opfer, aber nie sah ich solche Schrecken wie seit dem Juli 2013“, lautete ihre ernüchternde Bilanz.

In den vergangenen sechs Monaten seien 16 Menschen in Haftanstalten an Folterverletzungen gestorben, führte Dawla aus. „Das sind nicht einfach Fälle, wo dies die Angehörigen behaupten, sondern wo gerichtsmedizinische Berichte oder ärztliche Befunde vorliegen, die die Foltermerkmale eindeutig beschreiben.“

Dennoch ist Präsident Sisi populär. Seine Umfragewerte muten fantastisch an: 89 Prozent Zustimmung ermittelte das Basira-Institut in diesem Monat. Bei den Antworten könnten Angst und Vorsicht eine Rolle gespielt haben - dennoch steht derzeit eine gefühlte Mehrheit der Ägypter hinter dem Präsidenten. Der Deal, den er ihnen anbietet, scheint ein einfacher zu sein: ich sorge für Ruhe und Ordnung, ihr verzichtet dafür auf allzu große politische Freiheiten.

(Alternative Schreibweise: Shaima al-Sabbagh)