Kosakenkapelle: Sichtbarer Impuls gegen das Vergessen
Bunt und international präsentierte sich Lienz heute. Hunderte kosakenstämmige Gäste aus aller Welt und viele Einheimische kamen zur Einweihung der orthodoxen Kapelle, die Gedenkort und Mahnmal zugleich ist.
Von Claudia Funder
Lienz – Die dramatischen Ereignisse, die sich kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges in Lienz abspielten, sind unvergessen. Im Frühjahr 1945 zogen 25.000 Kosaken auf der Flucht vor den Tito-Partisanen über Italien in Richtung Osttirol, wo sie das englische Kriegsgefangenenlager erreichen wollten. Sie vermuteten Rettung, doch es kam ganz anders. Die Briten trieben die Kosaken zusammen, um sie entgegen ihres Versprechens an die Sowjets auszuliefern. Am 1. Juni 1945 dann die Eskalation, einschließlich erschütternder Verzweiflungstaten: Männer erschossen oder erhängten sich. Mütter warfen ihre Kinder in die reißende Drau und sprangen hinterher in den Tod, um der Auslieferung zu entkommen. Der Großteil der Kosaken, darunter 2958 Frauen und 1445 Kinder – wie es ein militärischer Bericht nüchtern aufzählt –, wurden in Judenburg den Sowjet-Truppen übergeben. Viele von ihnen überlebten den Sommer 1945 nicht mehr.
Lienz ist für Kosakengemeinschaften in aller Welt bis heute ein fixer Begriff. Auch wenn die Zahl derer, die die Schreckensereignisse überlebt haben, immer kleiner wird, das Interesse der Kinder- und Enkelgeneration ist ungebrochen. Viele reisen regelmäßig zum jährlichen Gedenktag nach Lienz.
An die Kosakentragödie erinnerte bisher vor allem der Kosakenfriedhof in der Lienzer Peggetz. Nahe des ehemaligen Lagerplatzes fanden hier in 28 Gräbern etwa 300 Kosaken ihre letzte Ruhe.
Heute jährte sich die Tragödie an der Drau zum 70. Mal. Und heute ging auch ein langgehegter Wunsch vieler Kosaken endlich in Erfüllung. Die kleine orthodoxe Kapelle neben dem Friedhof wurde eingeweiht und ihrer Bestimmung übergeben.
Und es war beides: gemeinsames Gedenken an die Opfer der Tragödie, aber auch Freude über den hübschen hölzernen Neubau und die Möglichkeit des Austausches. Denn Kosaken und kosakenstämmige Gäste waren zu Hunderten aus aller Welt angereist. Und auch viele Einheimische machten sich ein Bild von dem von ukrainischen Arbeitern erbauten Kirchlein. Eine kurze Umfrage unter jenen, die einen kurzen Blick in den Innenraum warfen, ergab: Auch wenn die Optik für manchen Osttiroler ungewöhnlich ist – die Kapelle gefällt ausgesprochen gut.
In Festreden von Bürgermeisterin Elisabeth Blanik und Hermann Hotter wurde auf die Wichtigkeit der Erinnerung an die Tragödie eingegangen. Die Stadtchefin betonte, es schmerze sie zutiefst, dass das eine Mal, als Lienz in den Fokus der Weltöffentlichkeit rückte, dies ausgerechnet im Rahmen einer großen Tragödie geschah.
Vielen wurde bei der Feier gedankt. Und es wurden Namen jener genannt, die sich besonders verdient gemacht haben, damit die Ereignisse nicht vergessen werden. Darunter etwa Harald Stadler, Leiter des Instituts für Archäologien in Innsbruck, der mit seiner wissenschaftlichen Arbeit den Blick auf das historische Ereignis massiv schärfen konnte. Aber auch Erika Pätzold, die sich als „gute Seele“ unermüdlich um den Friedhof und ab sofort auch um die Kapelle kümmert.
Landtagspräsident Herwig van Staa erklärte in seiner Festansprache: „Die Gedenkkapelle ist auch ein Mahnmal, das uns erinnert, dass wir alles unternehmen müssen, um den Frieden zu bewahren. Und sie ist ein Hoffnungsmal für den Frieden der Welt.“ Hermann Hotter, der den Bau der Kapelle massiv vorangetrieben hatte, verlieh Herwig van Staa für dessen Engagement das Goldene Ehrenkreuz des Schwarzen Kreuzes.
Die russisch-orthodoxen Erzbischöfe Mark Arndt und Michael Donskoff weihten die Kapelle ein und zelebrierten eine Messe. Ansprechend musikalisch begleitet wurde die Feier vom Johannes Chrysostomos-Chor aus Innsbruck.
Ottoman Isaak Martinjuk, ein Vertrauter Ataman Wladimir Melichows, dem mit weiteren Kosaken die Ausreise aus Russland verwehrt blieb – die TT berichtete –, erklärte bei der Feier: „Danke, dass Sie eine Kapelle für uns in Ihrem Land errichtet haben.“
Man gedachte bei der Einweihung in erster Linie der Opfer der Tragödie vor 70 Jahren. Der Anlass brachte aber auch weit versprengte Kosaken zusammen. Und nicht nur das. Man tauschte Blicke und Erinnerungen aus, pflegte oder knüpfte Kontakte. Geschichte wurde mit Geschichten verwoben.
Es wird noch mehr als die Kapelle und die demnächst startende große Ausstellung bedürfen, um der Kosakentragödie auf Dauer jenen Raum zu geben, den sie verdient. Aber im aktuellen Gedenkjahr wurden ganz entscheidende Impulse gesetzt.