Wie ein Tiroler in Afrika schwarz zu sehen lernte
In Absam erinnert man an den Komponisten A. E. Kratz, der in Südafrika Karriere machte – bis er in Konflikt mit dem Apartheid-Regime geriet.
Von Michael Domanig
Absam –„Ein Weißer, der schwarz zu sehen lernte“: Unter diesem mehrdeutigen Motto erinnern Kirchenchor und Gemeindemuseum Absam an eine faszinierende, fast vergessene Tiroler Persönlichkeit – den Musiker und Komponisten Anton Erich Kratz (1917–1980). Am Donnerstag, den 11. Juni, steht Kratz als Person im Fokus: Im Gemeindemuseum werden zwei Weggefährten, Herbert Ebenbichler und Hans Eller, über sein bewegtes Leben sprechen, dazu erklingt seine Musik in kleiner Besetzung (Beginn: 20 Uhr). Tags darauf führt der Absamer Kirchenchor neben Werken von Mozart oder Hadyn auch zwei Kratz’sche Kompositionen auf – ab 20.15 Uhr in der Basilika Absam. Kratz sei „gleich mehrfach wiederzuentdecken“, sind sich Stefan Schöch, Obmann des Absamer Kirchenchors, und Matthias Breit, Leiter des Gemeindemuseums, einig – als unbekannter ortsansässiger Komponist, als Tiroler in Südafrika und als Autor eines außergewöhnlichen Buches.
Als Sohn einer k. und k. Offiziersfamilie in Galizien geboren, verbrachte Kratz seine Jugend größtenteils bei den Großeltern in Tirol. Nach Musik- und Dirigierstudien in Wien und München war er ab 1945 als Klavierlehrer an der Musikschule Hall tätig. Seine Fähigkeiten als Komponist stellte er damals als Chor- und Orchesterleiter in Absam unter Beweis. In dieser Zeit schuf der gläubige Tiroler etwa die „Absamer Messe“, die am 12. Juni zu hören sein wird.
Sein Lebensmittelpunkt lag in den kommenden Jahren, von 1950–52 und 1953–68, jedoch Tausende Kilometer von Tirol entfernt – in Südafrika. Dort wurde er als Komponist und Dirigent bekannt, tourte als Konzertpianist, wirkte als Chor- und Orchesterleiter sowie als Professor an der Uni in Pretoria. Viele seiner Werke wurden in Südafrika gespielt und aufgezeichnet. Kurz: Kratz hätte eine glänzende Karriere hinlegen können.
Doch der Alltag in Südafrika war damals vom brutalen Apartheid-Regime und der Doktrin der Rassentrennung geprägt – ein System, zu dem Kratz in Widerspruch geriet. Mehrfach besuchte er den berühmten Arzt und Friedensnobelpreisträger Albert Schweitzer in dessen Urwaldspital in Lambaréné (Gabun). Diese Besuche prägten ihn nicht nur musikalisch – Schweitzer, ein exzellenter Organist, gab ihm Orgelunterricht –, sondern auch menschlich: Schließlich verbrachte Schweitzer sein Leben unter Schwarzen. Die südafrikanischen Behörden sahen diese Reisen daher äußerst kritisch, zumal Kratz selbst gegen die Rassenpolitik verstieß, Umgang mit dunkelhäutigen Südafrikanern pflegte und sogar einen schwarzen Chor gründete. Die Folgen waren gravierend: Kratz wurde zunehmend boykottiert, nicht mehr gespielt und gesendet. Er richtete sogar einen Brief an den englischen Premierminister, in dem er die gegen ihn gerichteten Repressalien des südafrikanischen Staates schilderte. Am Ende verließ er Südafrika „fast fluchtartig“, wie Stefan Schöch erklärt.
Als Kratz 1968 endgültig nach Tirol zurückkehrte, fasste er seine umfangreichen Aufzeichnungen zu einem Buch zusammen: In „Dann bist du tot! Südafrikanische Notizen“ (1969) berichtete er – sachlich, objektiv und ohne autobiographische Spuren – vom Rassenwahn der Buren, von Zwangsumsiedlung und Vertreibung, von Ausbeutung und sozialer Ungerechtigkeit, von der „gefärbten“ Schulbildung und der Todesstrafe, aber auch vom politischen Widerstand. Besonders bemerkenswert ist für Breit dabei ein „humanistischer“, nicht von Kolonisation und Eurozentrismus geprägter Blick auf Afrika: „Damit war Kratz vielen seiner Zeitgenossen voraus.“ Auszüge aus dem Buch, das in Tirol damals keine Spuren hinterließ, sind am Donnerstag in Absam zu hören.
Kratz erhielt in der Folge eine Anstellung als Hauptschullehrer im Wipptal, führte insgesamt aber ein sehr bescheidenes Leben – und konnte beruflich nicht mehr an das anschließen, worauf er in Südafrika verzichtet hatte. Als Kapellmeister der Steinacher Musikkapelle und der Bundesbahn-Musikkapelle Innsbruck konnte er immerhin viele seiner Werke aufführen. Die meisten davon liegen bis heute als Handschriften in den Archiven von Absam bis Steinach. „Einige Schätze sind in Vergessenheit geraten“, bilanziert Schöch, „jetzt werden sie wieder einmal gehoben.“