Die langsame Rehabilitierung von Ai Weiwei: „Ich bin optimistisch“
Peking (APA/dpa) - „Heute habe ich meinen Pass bekommen“, schreibt Ai Weiwei neben ein Foto mit sich und dem rotbraunen, vom goldenen Staats...
Peking (APA/dpa) - „Heute habe ich meinen Pass bekommen“, schreibt Ai Weiwei neben ein Foto mit sich und dem rotbraunen, vom goldenen Staatswappen geschmückten Reisedokument. Genau seit 600 Tagen legte der 57-Jährige jeden Morgen einen Blumenstrauß in den Korb eines Fahrrads vor dem Tor seines Studios, fotografierte es und postete das Bild auf Twitter, „bis ich das Recht zu reisen zurückgewinne“. Nun ist es soweit.
Denn seit dem heutigen Mittwoch darf Ai Weiwei, Chinas berühmtester Gegenwartskünstler, wieder reisen. Das von ihm zum stillen, kreativen Protest genutzte Fahrrad hat eine Geschichte. Es gehörte seinem Freund, dem Deutschen Nils Jennrich. Der Kunstspediteur saß ohne Anklage fast fünf Monate in einem überfüllten chinesischen Gefängnis. Nach Intervention der deutschen Bundesregierung kam Jennrich im August 2012 frei, musste aber noch mehr als acht Monate warten, bis er ausreisen durfte. Erst ein Anruf des Büros von Regierungschef Li Keqiang brachte ihm den Pass zurück und erlaubte ihm 2013 die Ausreise. Wer telefonierte, damit Ai Weiwei seinen Pass nach vier Jahren zurückbekam, bleibt unklar.
Seit Wochen deutete sich gleichwohl eine langsame Rehabilitierung des Künstlers an. „Ich bin optimistisch“, sagte Ai Weiwei vor einem Monat der Deutschen Presse-Agentur in Peking. Er habe so ein Gefühl, dass er seinen Pass zurückbekommen könnte. „Es tut sich etwas.“ Überhaupt sei er von der Staatssicherheit schon länger besser behandelt worden.
Seine erste Solo-Ausstellung in China im Juni - über vier Galerien in den beiden Pekinger Künstlervierteln 798 und Caochangdi verteilt - war ein deutliches Indiz. „Wir haben niemanden gefragt“, sagte Ai Weiwei. „Und niemand hat es verboten.“ Eine Kopie des Fahrradkorbes für die Blumen aus weißem Porzellan steht auch in der Galerie Chambers Fine Art unweit seines eigenen Studios in Caochangdi. Subtile politische Kunst, wer es erkennt und sehen will.
So auch der große Baum vor der Tür des roten Backsteinbaus der Galerie. Er ist aus verschiedenen Ästen, Stämmen und Wurzeln zusammengeschraubt, die aber nicht wirklich zusammenpassen. Die Form der knorrigen Arme des Baumes erinnert an Drachen, das Wappentier des Kaisers, der Macht im Reich der Mitte. „Eindeutig ein politisches Werk“, sagt eine benachbarte chinesische Galeristin. „Sehen Sie nicht? Das ist unser Staatsgebilde - ausgedörrt, mit dicken Schrauben gewaltsam zusammengehalten und alles verkehrt.“
Soviel Kunst zum Nachdenken wird plötzlich geduldet. Mehr noch. Die „Global Times“, die vom kommunistischen Parteiorgan „Volkszeitung“ herausgegeben wird, feiert Ai Weiwei plötzlich als „Künstler mit internationaler Reputation“. Lässt das Blatt sonst böse Tiraden über kritische Intellektuelle ab, deren Stimme nur im Ausland gehört wird, berichtet es brav über die Ausstellungen. Auch um die „Gerüchte“ zu widerlegen, dass der große Künstler Ai Weiwei seine Arbeit nicht in seiner Heimat ausstellen dürfte.
Seine neu gewonnene Reisefreiheit will Ai Weiwei dafür nutzen, nach Deutschland zu seinem sechsjährigen Sohn zu fliegen. Vor knapp einem Jahr hatte ihn der Künstler - auch aus Angst vor der Unberechenbarkeit des chinesischen Regimes - nach Berlin geschickt. In Berlin wartet auch eine Gastprofessur an der Universität der Künste (UdK). Er hat keine Angst, nicht wieder nach China zurückkehren zu dürfen, wie er mehrfach beteuert.
Die Rückgabe des Passes wird allgemein begrüßt. „Es ist eine positive Entwicklung in einer sonst immer schlimmer werdenden Situation für Menschenrechtsaktivisten und kritische Stimmen in China“, sagt Forscher William Nee von Amnesty International. Eine Lockerung der Kontrolle über die Kunst, die nach dem Willen des neuen Staats- und Parteichef Xi Jinping „dem Volk und dem Sozialismus dienen soll“, sei auch nicht zu erkennen, sagt Sophie Richardson von Human Rights Watch. „Wenn Xi Jinping seine Meinung wechseln sollte und Künstlern die freie Meinungsäußerung erlauben würde, könnten wir viel mehr Veränderungen sehen als nur Ai Weiwei, wie er seinen Pass zurückbekommt.“
(S E R V I C E - Ai Weiwei auf Instagram: https://instagram.com/aiww)