Justizreform in Bulgarien wird zur Zerreißprobe für Regierung

Sofia (APA) - Der monatelange Streit über eine überfällige Justizreform in Bulgarien geht in die entscheidende Phase und sorgt für erste Kon...

Sofia (APA) - Der monatelange Streit über eine überfällige Justizreform in Bulgarien geht in die entscheidende Phase und sorgt für erste Kontroversen innerhalb der konservativen Regierungskoalition von Ministerpräsident Bojko Borissow. Vor der für Freitag geplanten Abstimmung im Parlament droht der Vorsitzende des mitregierenden Reformblocks Radan Kanew mit Neuwahlen.

„Sollte kein Kompromiss möglich sein, dann hat dieses Achtparteienparlament wohl seine Möglichkeiten ausgeschöpft“, kommentierte Kanew am Donnerstag die stockenden Verhandlungen von Regierungschef Borissow mit den Parlamentsfraktionen. Wie der staatliche Rundfunk meldete, sollen die Sondierungsgespräche bis zum letzten Moment vor der Abstimmung im Parlament am Freitagmorgen andauern. Die von der EU-Kommission seit Jahren nachdrücklich geforderte Justizreform in Bulgarien erfordert Änderungen in der Verfassung des Landes. Dafür benötigt die Regierungskoalition eine Zweidrittelmehrheit im 240-köpfigen Parlament. Die vier Koalitionspartner im Kabinett verfügen über lediglich 135 der notwendigen 160 Sitze.

Bulgarien ist seit Jahren Schlusslicht in diversen Korruptionsberichten. In ihren regulären Fortschrittsberichten kritisiert die Europäische Kommission immer wieder die insbesondere in der Justiz grassierende Korruption. Der konservative Reformblock - Juniorpartner in der bürgerlichen Regierung - hat die Justizreform zur Bedingung für eine Fortsetzung der Koalition mit der bürgerlichen GERB-Partei von Premier Borissow und weiteren zwei Kleinparteien erklärt.

Justizminister Hristo Iwanow vom Reformblock hatte den Entwurf Ende Mai ins Parlament eingebracht. Dieser sieht eine Umstrukturierung des Obersten Justizrates vor. Der Rat ist das Selbstverwaltungsorgan der Justiz mit dem verfassungsmäßigen Auftrag, die Unabhängigkeit der Justiz zu garantieren, und soll künftig aus zwei selbstständigen Kammern der Richter und der Staatsanwälte bestehen. Dadurch soll erreicht werden, dass die separaten Kammern über die Beförderung und Ahndung von Disziplinarverstößen von Richtern bzw. von Staatsanwälten eigenständig entscheiden und somit die Möglichkeiten für Einflussnahme reduziert werden. Darüber hinaus sollen die Beschlüsse des Obersten Justizrates künftig nicht mehr in geheimer Abstimmung gefällt werden, was bisher als Tarnung für Bestechungen einzelner Richter und Staatsanwälte oder von diesen eingesetzter Mittelsmänner galt.

Die Wirtschaftspartei DPS, drittstärkste Parlamentskraft, lehnt die Regierungsvorschläge vehement ab und will dem Parlament einen eigenen Reformentwurf zur Abstimmung vorlegen. Kritiker mahnen, die DPS versuche dadurch, ihren jahrelang und systematisch aufgebauten Einfluss im Obersten Justizrat zu retten. Der Politikwissenschaftler Antonij Galabow kritisierte gegenüber der bulgarischen Nachrichtenagentur Focus, die DPS versuche, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: „Zum einen darf der Einfluss im Justizrat nicht verloren werden, zum anderen soll der Reformblock kompromittiert werden und aus der Regierungskoalition fliegen.“ Die gleiche Vermutung haben auch einige Nichtregierungsorganisationen, die seit zwei Tagen gegen eine „abgespeckte“ Justizreform vor dem Parlamentsgebäude in Sofia protestieren.

Einen Schritt weiter ging der Analysator des Zentrums für Demokratieforschung in Sofia, Tihomir Bezlow. Ihm zufolge gehe die von der Regierung vorgeschlagene Justizreform nicht in die Tiefe und werde das eigentliche Problem in der bulgarischen Justiz nicht aus der Welt schaffen: „In der Justiz hat sich noch Anfang der 1990er Jahren eine Elite gebildet, die die Zügel fest in der Hand hält, vom Status quo profitiert und um nichts in der Welt darauf verzichten will.“