Bregenzer Festspiele

Vexierspielchen und Glitzerorgien

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Stefan Herheim inszeniert Jacques Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“ bei den Bregenzer Festspielen: ziemlich viel Bombast um eine ziemlich leere Mitte.

Von Jörn Florian Fuchs

Bregenz –Man möchte gut und gerne 1000 Euro verwetten, dass niemand diese Inszenierung völlig und lückenlos aufschlüsseln kann – Musiker, Sänger und Dirigent eingeschlossen. Vermutlich wissen nur Stefan Herheim und sein Dramaturg Olaf A. Schmitt genau Bescheid, dies hoffen wir zumindest. Die jetzt im Bregenzer Festspielhaus gezeigte, wüst turbulente Offenbach-Revue mit ihren ständigen Geschlechts- und Identitätswechseln stellt eine große Herausforderung an den Kopf, die Augen und das Sitzfleisch dar.

Aber der Reihe nach. Jacques Offenbach verhandelte in seiner unvollendet gebliebenen Oper das Schicksal E. T. A. Hoffmanns, der Dichter selbst taucht auf und begegnet etlichen Figuren aus seinen Erzählungen. Es gibt mehrere unglückliche Frauengeschichten, einen teuflischen Gegenspieler, der in mehreren Maskierungen daherkommt, sowie jede Menge Wahnsinn und Verwirrungen. Schon im Original ist das Stück sehr komplex, Stefan Herheim dreht die Sache mehrfach um die eigene Achse und fügt auch noch den Komponisten mit ins Geschehen ein. Außerdem gibt es Theater auf dem Theater und Inszenierungen im Schädel der Protagonisten und hernach dreht sich wieder alles und dann ...

Fassen wir die kargen Fakten zusammen. Man sieht eine riesige Showtreppe, die sich in mehrere Teile aufspalten lässt. Oben thront ein Videoscreen, der Abstraktes zeigt, Lichteffekte oder Gesichter. Die Spielorte der Oper sind recht deutlich erkennbar, das Personal indes schwankt ständig zwischen verschiedenen Zuständen – Partyexzess oder Trübsaldepression – und tauscht hübsch die Geschlechterrollen. Mann trägt im Verlauf des Abends zunehmend gerne und sehr ausführlich Strapse, Frau wandelt sich vom Revuegirl hin zur maskulinen Smokingträgerin. Selbst der böse Lindorf/Luther/Coppélius/Docteur Miracle wird vorübergehend zum vokalen wie ‚realen‘ Weib – Michael Volle macht das hinreißend.

Daniel Johansson singt den Hoffmann mit feinem, frischem Tenor, kämpft jedoch zeitweise um Ausdauer. Aber er muss sich ja auch dauernd um seine sexuelle Identität sorgen! Und seine Urgeliebte Stella ist – zeitweise – gar ein sehr kräftig gebauter Typ en travestie. Das ebenfalls ziemlich seltsame Folge-Damentrio ist mit Kerstin Avemo, Mandy Fredrich und vor allem Rachel Frenkel gut besetzt. Johannes Debus gelingt mit den Wiener Symphonikern eine flüssig flotte Verlebendigung der Partitur.

Bis zur Pause unterhält einen das Spektakel aufs eher Angenehme und man hofft noch auf den einen oder anderen erhellenden Moment. Doch spätestens im dritten Akt wird klar, man steigt nicht mehr durch. Außerdem übertreten Herheim und seine Kostümbildnerin Esther Bialas allmählich alle Geschmacksgrenzen. Bis auf eine düster neblige Gondelfahrt durch die Drehbühne gerät alles grell, glitzernd und ziemlich ordinär.

Konzeptionell wurde um viele Ecken und Kanten gedacht und es geht völlig in Ordnung, nicht alles simpel und verständlich aufzulösen. Aber wenn die Dinge so unklar liegen, ist es im Grunde egal, wer welche Identitäts- oder sonstigen Probleme hat. Und warum muss die Regie unbedingt so ausführlich und gnadenlos auf die Transenpauke hauen?

Stefan Herheim begann vor einigen Jahren als intellektueller und inszenatorischer Zauberer, er wurde zum Meister sinnlicher Vexierspiele. Sein Bregenzer Offenbach dreht sich leider mit viel Bombast und schrillen Effekten um eine ziemlich leere Mitte.

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