Suruc-Attentat verschärft innenpolitische Spannungen in der Türkei

Istanbul (APA/dpa) - Noch hat die Regierung nicht offiziell bestätigt, dass der Anschlag in Suruc mit 32 Todesopfern der Jihadistenorganisat...

Istanbul (APA/dpa) - Noch hat die Regierung nicht offiziell bestätigt, dass der Anschlag in Suruc mit 32 Todesopfern der Jihadistenorganisation „Islamischer Staat“ (IS) zuzuschreiben ist. Doch die regierungsnahe Nachrichtenagentur Anadolu gab unter Berufung auf Sicherheitskreise die Identität des Selbstmordattentäters bekannt: Ein 20-jähriger Türke aus dem osttürkischen Adiyaman.

Dort soll er sich radikalisiert und sich nach Angaben türkischer Medien vor dem Attentat den IS-Jihadisten im Nachbarland Syrien angeschlossen haben. Sollte sich das bestätigen, wäre es ein Hinweis darauf, dass die Türkei nicht nur ein Transitland für die Extremisten ins Bürgerkriegsland Syrien ist, sondern zunehmend auch ein Extremismusproblem im eigenen Land hat. Gerade in Adiyaman haben sich Recherchen des Journalisten Idris Emen zufolge viele Jugendliche extremistischen Gruppen in Syrien angeschlossen.

Aaron Stein, Türkei-Experte des britischen Think-Tanks „Royal United Services Institute“, glaubt, dass sich die türkische Regierung zu sehr auf ausländische Kämpfer konzentriere und zu wenig gegen Türken unternehme, die sich den IS-Fanatikern anschließen wollten.

Auch die Opposition wirft der Regierung in Ankara vor, zu wenig gegen die Jihadisten zu unternehmen. Die pro-kurdische HDP machte die Regierung gar mitverantwortlich für das Attentat. Die in der Türkei verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK goss zusätzlich Öl ins Feuer. Sie ermordete am Mittwoch nach eigenen Angaben zwei Polizisten als „Vergeltung“ für das Attentat in Suruc. Am Donnerstag wurde in der osttürkischen Stadt Diyarbakir ein weiterer Polizist erschossen und zwei Beamte verletzt. Es wurde zunächst nicht ausgeschlossen, dass auch diese Tat auf der Konto der PKK ging. Der Friedensprozess zwischen Regierung und Kurden scheint damit sehr gefährdet. „Ich weiß noch nicht mal, ob wir überhaupt noch einen Friedensprozess haben“, sagte Stein der Deutschen Presse-Agentur (dpa).

Innenpolitisch kommen schwere Zeiten auf die Türkei zu. Verschärft wird die Situation dadurch, dass nach den Parlamentswahlen am 7. Juli noch immer keine neue Regierung gebildet wurde. Die islamisch-konservative AKP führt zurzeit Koalitionsgespräche mit der Mitte-Links Partei CHP. Neuwahlen sind deshalb nicht ausgeschlossen.

Die AKP beteuert, resolut gegen die IS-Jihadisten vorzugehen. Am Mittwoch bekräftigte Vize-Ministerpräsident Bülent Arinc: „Daesh (IS) ist eine von der Türkei verdammte Terrororganisation.“ Die Türkei sei entschlossen, gegen diese sowie gegen jede Form von Terror zu kämpfen. Tatsächlich gab es in den vergangenen Wochen Razzien gegen IS-Anhänger in der Türkei. Am Donnerstag starb ein türkischer Soldat bei einem Gefecht in der Provinz Kilis an der Grenze zu Syrien. Mindestens ein Soldat sei verletzt worden, die Nachrichtenagentur DHA berichtete von mindestens vier Verletzten. Zunächst war unklar, wer das Feuer eröffnet hatte, aber dieser Grenzabschnitt wird auf syrischer Seite vom IS kontrolliert.

Doch das Vertrauen vor allem der kurdischen Bevölkerung hat die Türkei schon früher verspielt, unter anderem weil die Türkei die der PKK nahe stehenden kurdischen Milizen beim Kampf gegen die IS-Fanatiker um die syrisch-kurdische Stadt Kobane (arabisch: Ayn al-Arab) nicht unterstützte. Die IS-Jihadisten beherrschen trotz Gebietsverlusten an die Kurden in Syrien immer noch Teile der Grenze zur Türkei. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan sagt, die Türkei werde keinen Kurdenstaat an ihrer Grenze dulden und befeuerte damit das Misstrauen in der kurdischen Bevölkerung weiter.

Im syrischen Bürgerkrieg verfolgt die türkische Regierung das Ziel, das Regime von Bashar al-Assad in Damaskus zu stürzen. Um das zu erreichen, hat sich die Türkei wieder Saudi-Arabien angenähert, nachdem die Beziehungen über Jahre angespannt waren. Erdogan soll im März bei einem Besuch in Riad mit dem saudi-arabischen König Salman vereinbart haben, die syrischen Rebellen stärker zu unterstützen. Gemeinsam mit dem Golf-Emirat Katar halfen die beiden Länder dabei, ein neues Rebellenbündnis zu schmieden, das mittlerweile im Norden Syriens größere Gebiete vom Regime einnehmen konnte.

Erfolgreich war diese Politik Saudi-Arabiens und der Türkei bisher nicht. Assad und seine Anhänger haben zwar zuletzt schmerzhafte Niederlagen einstecken müssen, sie kontrollieren aber noch immer die wichtigsten Städte. Überleben kann das Regime dank massiver Hilfe aus dem Iran. Auch die von Ankara immer wieder geforderte Flugverbotszone im Norden Syriens, in der Zivilisten und Rebellen Schutz finden sollen, ist bisher nicht errichtet worden, vor allem weil die USA dagegen sind.