Das Sellrain bleibt das Tal der Muren und Überflutungen
Trotz der jüngsten Murenabgänge wird die Sellrainstraße heute einspurig geöffnet. Doch die Sellrainer sitzen vor jedem Unwetter „wie auf Nadeln“.
Sellrain, Finkenberg, Kaunertal –Heftige Unwetter suchten am Donnerstagabend und in der Nacht auf Freitag wieder weite Teile Tirols heim. Besonders schwer wüteten dabei die Naturgewalten einmal mehr im Sellraintal im Bezirk Innsbruck Land: Gegen 21.50 Uhr kam es am Donnerstag zwischen Gries im Sellrain und Sellrain zu einem Murenabgang, wodurch die Landesstraße unpassierbar wurde und gesperrt werden musste. Um kurz nach Mitternacht waren die Aufräumarbeiten abgeschlossen und die Straße wurde wieder für den Verkehr freigegeben.
Seit dem großen Juni-Unwetter „sitzen wir vor jedem Gewitter wie auf Nadeln“, berichtet der Sellrainer Bürgermeister Norbert Jordan. „Speziell den Betroffenen entlang der Melach steckt der Schrecken noch in den Knochen.“ Auch am Donnerstag habe die Melach wieder „einen Seegang geführt wie beim Hochwasser in den 60er Jahren. Ohne schweres Gerät wäre der Fluss nicht mehr zu bändigen gewesen“. Zwölf Personen seien sicherheitshalber evakuiert worden, so Jordan, „sie wurden um Mitternacht wieder zurück in ihre Häuser gelassen, als Wasserstand und Geschiebe wieder zurückgegangen waren.“
Im Lüsenstal, einem südlichen Seitental des Sellraintals, waren 23 Kinder der katholischen Jungschargruppe Sistrans im Alter zwischen sieben und 13 Jahren mit ihren Betreuern in einem Jugendhaus von der Außenwelt abgeschnitten. Die Lüsener Straße war an mehreren Stellen unterspült und vermurt worden. Die Freiwilligen Feuerwehren des Tals brachten die Gruppe am Freitagmorgen auf einer sicheren Route mit geländegängigen Fahrzeugen nach Praxmar.
Trotz der jüngsten Murenabgänge und Überflutungen wird die Sellrainstraße ab heute wieder einspurig befahrbar sein. Nach den Muren im Juni war die Straße gesperrt und Umleitungen über Oberperfuß bzw. Grinzens eingerichtet worden.
Im Kaunertal im Bezirk Landeck verlegte in der Nacht auf Freitag eine große Mure die Kaunertaler Gletscherstraße, in Finkenberg wurde am Donnerstagabend die Tuxer Landesstraße von einem hochwasserführenden Bach mit Geröll und Schlamm überflutet. Beide Straßen sind mittlerweile wieder für den Verkehr freigegeben.
Landesgeologe Gunther Heißel macht die überaus starken Niederschläge für die Murenabgänge verantwortlich: „Wenn es so heftig regnet wie zuletzt im Sellrain, kann das derartige Auswirkungen haben.“ Die Wassermassen dringen erst gar nicht in den Boden ein, sondern bleiben an der Oberfläche, reißen die Vegetation mit und gelangen in die Bäche. „Diese schwellen dann an und treten über die Ufer“, beschreibt der Geologe den Ablauf. Der derzeitige Zustand der Böden habe mit den Murenabgängen nichts zu tun. „Die Böden sind eher trocken. Dauerniederschläge wären schlecht. Aber die Starkregen dringen, wie gesagt, erst gar nicht in die Böden ein.“ (np, md, tom)