Tiroler Volksschauspiele Telfs

Die Mysterien der Bestie Mensch

© Bernd Schranz

Mit der Uraufführung des Frauenmörder-Dramas „Fliegende Hitzen“ wurden am Donnerstag die Tiroler Volksschauspiele Telfs eröffnet.

Von Joachim Leitner

Telfs –Mindestens zwei Frauen hat der 1902 in Tschars im Vinschgau geborene Guido Zingerle zwischen 1946 und 1949 verschleppt, geschändet und ermordet. Drei weitere Frauen hat er vergewaltigt. Dass es noch andere Opfer des „Ungeheuers von Tirol“ gab, kann nicht ausgeschlossen werden. 1950 wurde er nach mehrwöchiger Suche verhaftet, in aufsehenerregenden Prozessen für schuldfähig befunden – und zu lebenslanger Haft verurteilt. 1962 starb Guido Zingerle in einem süditalienischen Gefängnis. Als dunkel-pädagogisches Druckmittel – „pass auf, sonst holt dich der Zingerle“ – geisterte er noch Jahrzehnte später durch unaufgeräumte Kinderzimmer dies- und jenseits des Brenners.

Mit „Fliegende Hitzen“, das am Donnerstag als Eröffnungspremiere der diesjährigen Tiroler Volksschauspiele Telfs uraufgeführt wurde, wird „der Zingerle“ zum Bühnenstoff. Wobei sich Lorenz Gutmann und Veronika Eberl, die das Material dramatisch aufbereitet haben, wohl schwertaten, eine finale Form zu gießen. Doku-Drama, Psycho-Studie, Thesen-Theater: „Fliegende Hitzen“ ist von allem ein bisschen – und doch nichts ganz. Letztlich flüchtet sich der Text in die Komfortzone eines Mysterienspiels: Lüstling Satanas (wunderbar affektiert: Daniel Klausner) und der keusche Betbruder Antonius (Co-Autor Gutmann) wollen der tiefschürfenden Disputio über die Verführbarkeit des Menschengeschlechts ein praktische Exempel zugeben – und machen Zingerle (Hannes Perkmann) mehr zufällig als absichtsvoll zum Spielball teuflischer Mächte.

Oder sind doch die Verhältnisse, denen Zingerle entstammte, die Ursache für seine Taten? Dieser Schluss jedenfalls wird in Klaus Rohrmosers Inszenierung durch mehrere Videoeinspielungen nahegelegt, die den an Entbehrungen reichen Werdegang des späteren Triebtäters (vom vaterlosen Kind über den unglücklichen Militärdienst in Nordafrika bis in die ärmliche Gegenwart) nachzeichnen. Unterstrichen wird dieser – vereinfacht gesagt – psychologisierende Ansatz auch durch Karl-Heinz Stecks Bühnengestaltung, die konkretes Abbild einer vom Krieg zerbombten Weltordnung und doch auch zertrümmerte Seelenlandschaft ist.

Nach der diabolisch-frömmelnden Ouvertüre verlegt sich das Stück aufs Episodische. Wobei bisweilen mehr erzählt als anschaulich gemacht wird. Effektiv kommt Zeitkolorit zum Einsatz: Der tastende Aufbruch einer vom Krieg traumatisierten und von alpiner Enge gezüchtigten Jugend (Tamara Burghart und Daniela Bjelobradic), die zu populären Schlagern aus Übersee ihr sexuelles Erwachen feiert und sich ihre Busserl von Carabiniere (Stefan Riedl) und US-Soldat (Julian Rohrmoser) mit Zigaretten und Strümpfen vergüten lässt; die anhand von zusehends marktschreierischer zugespitzten Schlagzeilen nachvollzogene Jagd nach dem „Monster vom Patscherkofel“; der von den schockierenden Vorfällen angeheizte Ruf nach der Wiedereinführung der Todesstrafe. Ja, der Fall Zingerle hat fraglos das Potenzial, Ventil zu sein für ein in düsteren Tönen gehaltenes Zeit- und Sittenbild. Doch das, was davon in „Fliegende Hitzen“ anklingt, verliert sich in vagen Tableaus – oder verklingt in betont schwarzhumorigen Pointen.

Ganz anders indessen das Ensemble, aus dem Hannes Perkmann herausragt. Sein Zingerle, getrieben von Verzweiflung und Rausch, von Demütigungen und mörderischer Schicksalsergebenheit, beeindruckt. Er jammert, tobt – und bleibt nichtsdestotrotz verletzlich: die rätselhafte Bestie Mensch.

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