Ankaras Kampf gegen IS-Jihadisten und kurdische Extremisten

Istanbul (APA) - Nach Jahren des Wegschauens macht Ankara nun eine Kehrtwende. In den Morgenstunden des Freitags griff die türkische Luftwaf...

Istanbul (APA) - Nach Jahren des Wegschauens macht Ankara nun eine Kehrtwende. In den Morgenstunden des Freitags griff die türkische Luftwaffe erstmals Stellungen der jihadistischen Organisation „Islamischer Staat“ (IS) in Syrien an. Nach Militärangaben sollen bei den Angriffen mit F-16 Kampfbombern mehr als 30 Islamisten getötet worden sein, andere Quellen berichteten von neun getöteten Jihadisten.

Fast zeitgleich wurde auch im Inneren gegen Extremisten vorgegangen. Sicherheitskräfte nahmen bei landesweiten Razzien 300 mutmaßliche Anhänger des IS sowie der in der Türkei als terroristisch eingestuften kurdischen Arbeiterpartei PKK und der linksextremistischen DHKP-C fest. Zudem gestattet Ankara Washington nun die Nutzung des NATO-Luftwaffenstützpunktes Incirlik im Süden der Türkei für US-Kampfeinsätze gegen die Jihadisten.

„Wir haben nicht vor in einen Krieg einzutreten“, sagte Ministerpräsident Ahmed Davutoglu am Freitag vor laufenden Kameras. „Die Krise in Syrien dauert nun schon vier Jahre. Dabei ist die Türkei nicht Teil eines Krieges geworden, und wird es auch nicht werden“, sagte Davutoglu. Und weiter: „Aber wer uns bedroht, wer für uns ein Sicherheitsrisiko darstellt, dem gegenüber werden wir entsprechende Sicherheitsmaßnahmen ergreifen.“

Die Luftangriffe hätten lediglich mögliche Bedrohungen der Türkei aus dem Weg geräumt. Gleichzeitig kündigte der Ministerpräsident an, dass es mögliche weitere Luftangriffe geben könnte. Es gebe keine zeitlichen oder regionalen Beschränkungen, die Türkei werde auf Bedrohungen so kampfstark wie nur möglich reagieren.

Ankaras Neuausrichtung beim Kampf gegen den Terror hat keinerlei humanitäre Gründe. Nach dem blutigen Anschlag am Montag in der Grenzstadt Suruc konnte die Regierung das Eindringen des IS nicht mehr ignorieren. Bei dem Attentat kamen 32 Menschen ums Leben, ein mutmaßliches IS-Mitglied soll hinter der Tat stecken. Bisher ist nichts darüber bekannt, ob die Jihadisten die Verantwortung für das Attentat übernommen haben. Zudem hatten die Extremisten am Donnerstag von Syrien aus einen türkischen Soldaten erschossen.

Bis vor wenigen Tagen hatte Ankara immer so getan, als sei der IS ein syrisches oder irakisches Problem. Denn dass die Türkei das wichtigste Transitland, der wichtigste Rückzugsraum und die wichtigste Rekrutierungsbasis für Jihadisten ist, war schon seit langer Zeit bekannt. Darüber, dass Verwundete des IS in türkischen Krankenhäusern behandelt wurden sowie der türkische Geheimdienst MIT Extremisten in Syrien Waffen lieferte, hat die türkische Tageszeitung „Cumhuriyet“ ausführlich berichtet.

Neben den außenpolitischen Spannungen nehmen auch die innenpolitischen Unruhen zu. Denn die PKK reagierte auf den Terroranschlag, indem sie in der türkisch-syrischen Grenzstadt Ceylanpinar zwei Polizisten hinrichtete. Es handle sich um Vergeltung für Suruc, war in einer am Mittwoch im Internet verbreiteten Stellungnahme zu lesen. Die beiden Polizisten hätten mit dem IS kollaboriert, heißt es in der Erklärung. Der Doppelmord hat nun auch dazu geführt, dass bei den Razzien gleichzeitig gegen den IS und gegen die PKK vorgegangen wurde.

Schon im letzten Oktober, während der Schlacht um die nordsyrische Stadt Kobane (arabisch: Ayn al-Arab), hatte Erdogan gesagt, dass er die PKK und den IS gleichsetze. „Das sind Terroristen, und die anderen auch. Es gibt da keinen Unterschied“, hatte Erdogan damals gesagt. Ankara hat jetzt wieder gezeigt, dass es die Jihadisten und die kurdische PKK gleichsetzt. Seit Freitag sind die Fronten nochmals verhärtet, der seit 2013 geltende Waffenstillstand ist in ernster Gefahr.

Für die AKP könnte diese Eskalation aber sogar nützlich sein. Denn nach den Parlamentswahlen am 7. Juli konnte noch immer keine neue Regierung gebildet wurde. Neuwahlen sind deshalb nicht ausgeschlossen. Mit den Angriffen der PKK wird auch das Ansehen der pro-kurdischen Partei HDP geschädigt. Diese hatte bei den Wahlen 13,1 geholt, und bekennt sich offen zu ihrer Sympathie für die PKK. Die HDP machte auch während der jetzigen Koalitionsgespräche klar, dass für sie eine gemeinsame Regierung mit der AKP ausgeschlossen sei.