Staatsfreund Nummer eins: Israel und der Fall des Spions Pollard

Tel Aviv/Washington (APA/dpa) - Für die einen ist Jonathan Pollard ein Verräter, für die anderen ein Märtyrer. Seit beinahe 30 Jahren sitzt ...

Tel Aviv/Washington (APA/dpa) - Für die einen ist Jonathan Pollard ein Verräter, für die anderen ein Märtyrer. Seit beinahe 30 Jahren sitzt Pollard in einem US-Gefängnis ein. Alte Bilder zeigen einen untersetzten Mann mit Brille und strähnigen Haaren. Wegen Spionage verbüßt der heute 60-Jährige eine lebenslange Haftstrafe.

Stimmen die Berichte der großen US-Tageszeitungen, dann darf Pollard auf eine Begnadigung hoffen: Angeblich erwägt das US-Justizministerium, ihn im November freizulassen.

Pollard, ein ehemaliger Analytiker der US-Marine, hatte 1984 begonnen, für Israel zu spionieren. So gab er beispielsweise Dokumente weiter, die Rüstungsanlangen im Irak zeigten oder russische Waffenlieferungen an Syrien belegten.

1985 wurden die Behörden auf Pollard aufmerksam und verhörten ihn. Während seiner Befragung durch das FBI habe Pollard zweimal darum gebeten, seine damalige Ehefrau Anne anrufen zu dürfen, schreibt das „Wall Street Journal“. Diese habe daraufhin versucht, Pollards gestohlene Akten zu vernichten. Das dafür vereinbarte Codewort habe „Kaktus“ gelautet. Anne Pollard deponierte die Dokumente Berichten zufolge bei Nachbarn. Am Ende wurden beide Pollards verhaftet. Der Nachbar hatte den Koffer mit belastendem Material an die Polizei weitergegeben.

Die Papiere waren so brisant, dass die USA sie selbst ihrem Verbündeten Israel vorenthalten hatten. Umso größer war der diplomatische Schaden, als herauskam, dass Pollard „unter Freunden“ spioniert hatte.

Jonathan Pollard ist amerikanischer Jude. Er handelte angeblich aus Loyalität zu Israel. Diese Loyalität hat Pollard sich offensichtlich teuer bezahlen lassen. Der „Washington Post“ zufolge soll er bis zu 50.000 Dollar erhalten haben. Andere Medien schreiben, Israel habe Pollard nicht nur in Dollar, sondern auch mit kostbarem Schmuck bezahlt.

Als seine Tätigkeit als Spitzel bekannt wurde, ließ der jüdische Staat Pollard zunächst fallen. Als er sich in die israelische Botschaft flüchten wollte, verwehrte man ihm Asyl. Die israelische Regierung stritt ab, dass Pollard in ihrem Auftrag gearbeitet hatte. Der Spion habe die Dokumente aus eigenem Antrieb angeboten, so die offizielle Version. Erst 1998 räumte Israel ein, Pollard angeleitet zu haben. Da saß dieser schon mehr als zehn Jahre im Gefängnis.

Einerseits wollte Israel so das Verhältnis zu den USA kitten. Andererseits setzte sich die israelische Regierung durchaus für Pollard ein. Diskret übernahm sie seine Anwaltsrechnungen, verhandelte über eine Freilassung. Denn so wie Israel im Krieg keinen Soldaten zurücklässt, wird auch Pollards Dienst in Jerusalem nicht vergessen.

Je länger der Fall zurücklag, desto offener setzte sich die israelische Regierung für Pollard ein. 1996 wurde ihm die israelische Staatsbürgerschaft zugesprochen, seine mittlerweile von ihm geschiedene Frau Anne wurde 2010 nach Israel ausgeflogen. Israel habe „die moralische Verpflichtung“, ihr zu helfen, sagte Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu damals. Im selben Jahr forderte er öffentlich Pollards Freilassung.

Pollards zweite Frau Esther - eine Lehrerin aus Toronto, die ihn im Gefängnis geheiratet hatte - bemühte sich ebenfalls um dessen Freilassung. In öffentlichen Briefen wandte sie sich an Israels damaligen Präsidenten Shimon Peres und US-Präsident Barack Obama. Mit Verweis auf Pollards Gesundheitszustand schrieb sie Obama: „Mr. President, ich flehe sie an, meinen Mann freizulassen (...) und ihn zu mir nach Hause in die Heilige Stadt Jerusalem zu schicken.“

Bisher haben die USA dies stets abgelehnt. Insbesondere Geheimdienstler hätten sich dagegen ausgesprochen, Pollard nach Israel zu entlassen, weil normalerweise Spione ausgetauscht würden, schreibt das „Wall Street Journal“. Und für die US-Regierung war der Mann immer auch ein Ass im Ärmel, das man sich für einen günstigen Zeitpunkt aufheben wollte. Der scheint jetzt gekommen zu sein: Dass die USA gemeinsam mit den anderen UN-Vetomächten und Deutschland ein Atomabkommen mit dem Iran ausgehandelt haben, nimmt Israel den Amerikanern übel.

Um die Regierung in Jerusalem zu besänftigen, versprach US-Verteidigungsminister Ashton Carter diese Woche Militärhilfe und unerschütterliche Treue. Diesem „Besänftigungspaket“ könnte Washington Ende des Jahres noch ein Geschenk beilegen: die Freilassung des Spions Pollard.