Bayreuther Festspiele: Katharina Wagners düsterer „Tristan“

Bayreuth (APA/dpa) - Der Druck sei unnatürlich groß gewesen, sagte Katharina Wagner vor der Premiere ihrer Version von „Tristan und Isolde“....

Bayreuth (APA/dpa) - Der Druck sei unnatürlich groß gewesen, sagte Katharina Wagner vor der Premiere ihrer Version von „Tristan und Isolde“. Nicht weniger als die Zukunft der Wagner-Festspiele wurde davon abhängig gemacht. Wenn das stimmt, dürfte Bayreuth gute Jahre vor sich haben.

Ob Festspiel-Chefin Katharina Wagner erleichtert ist, ist nicht zu sehen. Nur wenige Sekunden zeigt sie sich mit ihrem Regie-Team nach der Premiere am Samstagabend bei den Bayreuther Richard-Wagner-Festspielen. Ihr Gesicht ist von ihrer langen Mähne verdeckt, die herumwirbelt, als sie sich vor dem Publikum verbeugt.

Dieses Publikum feiert ihre überaus düstere Interpretation der großen Liebesoper ihres Urgroßvaters. Eine fulminante zweite Regie-Arbeit in Bayreuth nach ihren hoch umstrittenen und scharf kritisierten „Meistersingern von Nürnberg“ von 2007, in der sie sich noch betont rebellisch gab und Ur-Opa mit überdimensioniertem Schwellkopf auf die Bühne brachte, hat die 37-Jährige hingelegt. Nach anfänglich großer Zurückhaltung und einer fast konzertanten Darbietung im ersten Akt steigert ihre Inszenierung sich zu einem großen Klagelied: Liebe tut weh. Punkt.

Sie lässt das tragische Liebespaar ausweglos umherirren in einem dunklen Treppenhaus, in dem die Treppen abbrechen und ins Leere führen, sobald Tristan und Isolde sich ihnen nähern. Den roten Liebestrank verschütten sie. Ihr Niedergang durch Liebe ist also selbst gewählt.

In einer Art pervertierter, schwarzer Kletterhalle, die die Kulisse des zweiten Aktes bildet und durch erbarmungslose Suchscheinwerfer zum Hochsicherheitstrakt wird, brechen die Kletterhaken ab, sobald sie berührt werden. Die romantische Zusammenkunft des Paares wird damit sogleich überschattet vom unvermeidlich tragischen Ausgang. Jedem Anfang wohnt ein Ende inne. Bei „Tristan und Isolde“ ist es das denkbar schwärzeste. Keine Hoffnung, kein Ausweg für die Liebe.

Ihre Liebe wird stattdessen auf der Bühne zum Käfig, an dessen Gitterstäben sie sich lustvoll verletzen - die einzige, schmerzhafte Freude, die ihnen vergönnt ist. Der einzige Ausweg, der sich ihnen bietet, ist das Licht am Ende des Tunnels, das durch eine beeindruckende Videoprojektion gezeigt wird. Es ist das Bild, das bekannt ist vom Festspiel-Poster, das in diesen Tagen in Bayreuth aushängt.

Selbst dieses angedeutete gemeinsame Ende, den großen Liebestod, gönnt Katharina Wagner den Beiden nicht. Tristan stirbt nach einem alptraumhaften Fieberwahn, in dem Isolde ihm immer wieder in den denkbar furchtbarsten Gestalten erscheint: ohne Gesicht, ohne Kopf, blutüberströmt. Doch Isolde lässt sich von König Marke, den Regisseurin Wagner zum unzweifelhaft Bösen in der Geschichte macht, an die Hand nehmen und verschwindet am Schluss mit ihm in die Dunkelheit.

Was folgt, ist Jubel für die mit Spannung erwartete Produktion. Ein paar wenige Buh-Rufe muss sich überraschenderweise der neue Musikdirektor Christian Thielemann anhören - ebenso wie die kurzfristig für Anja Kampe als Isolde eingesprungene Evelyn Herlitzius.

Möglich, dass bei Thielemann die Gerüchte um ein angebliches Hausverbot von Eva Wagner-Pasquier eine Rolle spielen - auch wenn er die entschieden zurückgewiesen hat. Wagner-Pasquier scheidet nach den diesjährigen Festspielen aus der gemeinsamen Leitung mit ihrer Halbschwester Katharina aus. Die übernimmt dann allein - unterstützt von Thielemann.

An seiner musikalischen Interpretation des Stoffes können die wenigen Buhs kaum liegen, was im Übrigen auch für Herlitzius gilt. Thielemann nimmt die Gewalt der Musik vor allem in Akt zwei streckenweise überraschend zurück, lässt dem Geschehen und der Melancholie, die sich breit und dann der großen Verzweiflung Platz macht, Raum.

Stephen Gould tut es ihm als Tristan gleich - sanft und zart singt er sein Liebesleid in die Welt, bevor der Fieberwahn im dritten Akt zuschlägt. Für seine Leistung wird er - ebenso wie Georg Zeppenfeld als König Marke und Christa Mayer als Brangäne - ausnahmslos gefeiert. Sie alle stehen auch im kommenden Jahr wieder auf der Besetzungsliste, die am Samstag veröffentlicht wurde. Die Rolle der Isolde blieb noch unbesetzt.

Richard Wagners Witwe Cosima war die erste, die „Tristan und Isolde“ 1886 - mehr als 20 Jahre nach der Münchner Uraufführung - erstmals bei den Bayreuther Festspielen inszenierte. Im Jahr 1927 war sein Sohn Siegfried mit seiner Interpretation der Liebesgeschichte dran. Enkel Wieland Wagner inszenierte die Oper gleich zweimal auf dem Grünen Hügel (1952 und 1962), dazwischen führte dessen Bruder Wolfgang bei der Neuinszenierung 1957 Regie. Danach waren noch August Everding (1974) dran, Jean-Pierre Ponnelle (1981), Heiner Müller (1993) und zuletzt Christoph Marthaler (2005).

Mehr als 50 Jahre ist es also her, dass ein Mitglied der Wagner-Familie die Oper inszenierte. Der Druck sei unnatürlich groß gewesen, hatte Katharina Wagner vor der Premiere gesagt. Es hat mir gut gefallen“, sagt beim Empfang nach der Premiere Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) , die für die zweite große Schlagzeile neben der Premiere der Festspiel-Chefin sorgt: In der Pause soll sie in einem Restaurant vom Stuhl gefallen sein. Ein angeblicher Kollaps wird schnell von einem Sprecher dementiert. Der Stuhl soll kaputt gewesen sein. Expliziter als Merkel äußert sich Kulturstaatsministerin Monika Grütters über Katharina Wagners Inszenierung: „Es war ein großer Abend, gut für Bayreuth.“