Stimmen für drei Euro - Skandale überschatten Nachwahl in Ukraine

Tschernihiw (APA/dpa) - Dicht drängen sich Dutzende Menschen vor den Zelten mit den Lebensmittelpaketen in der ukrainische Großstadt Tschern...

Tschernihiw (APA/dpa) - Dicht drängen sich Dutzende Menschen vor den Zelten mit den Lebensmittelpaketen in der ukrainische Großstadt Tschernihiw. Frauen wedeln mit ihren Pässen, Sanitäter versorgen in der Julihitze ohnmächtige Pensionisten. Das Chaos wirkt wie eine Szene in einem Lager für Flüchtlinge aus der umkämpften Ostukraine. Doch es ist die von Skandalen überschattete Nachwahl für ein einzelnes Parlamentsmandat der Ex-Sowjetrepublik mit EU-Ambitionen.

Nicht weniger als 91 Kandidaten haben sich um die Nachfolge des bisherigen Tschernihiwer Abgeordneten Waleri Kulitsch beworben. Präsident Petro Poroschenko hatte ihn Ende März zum Gouverneur des gleichnamigen Gebiets gemacht und damit die Nachwahl ausgelöst.

Der Ausgang gilt als wichtiger Stimmungstest für die Regierung in Kiew vor den Kommunalwahlen im Herbst. Als Favoriten sehen Beobachter Sergej Beresenko von der Präsidentenpartei sowie den Millionär Gennadi Korban, die rechte Hand des Dnipropetrowsker Oligarchen Igor Kolomoiski. Doch im Wahlkampf häuften sich Berichte über grobe Verstöße gegen demokratische Grundsätze.

Sonnenblumenöl, Zucker, Sprotten, Nudeln und vor allem Buchweizen - eine Wählerstimme in Tschernihiw rund 120 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt kostet Korbans Wahlkampfstrategen lediglich zwei bis drei Euro. Angesichts der andauernden Krise im Land nehmen vor allem ältere Menschen Lebensmittel und kostenlose medizinische Untersuchungen im Tausch gegen ihre Stimme gern in Anspruch.

„Mit 1.000 Griwna Pension (etwa 40 Euro) kommt man nicht weit“, sagt eine Frau entrüstet, als ihr Journalisten Vorwürfe machen. „Medikamente, Strom, Wasser - die Menschen haben es schwer“, meint eine andere Frau aus der Schlange vor einem Zelt.

Bei etwa 130 Euro liegen die Löhne in der landesweit für ihr Bier bekannten Stadt mit 300.000 Einwohnern. Korban selbst streitet den Kauf von Wählerstimmen ab und ein örtliches Gericht gab dem 45-Jährigen erstinstanzlich recht. Dennoch spricht auch er von einem „schmutzigen Wahlkampf“, nur seien seine Gegner schuld daran.

Auch im regierungsnahen Beresenko-Lager drohen vielbeschworene europäische Standards unter den Tisch zu fallen. Wenige Tage vor der Wahl stoppten Anhänger Korbans mitten in der Nacht ein Auto, das dem Beresenko-Team zugeschrieben wurde. In dem Fahrzeug fanden sie Umschläge mit je 400 Griwna (etwa 16 Euro), Wählerlisten sowie eine Kalaschnikow und eine Pumpgun. In einem weiteren Auto, das mit dem 31-jährigen Beresenko in Verbindung stehen soll, entdeckten Polizisten am Samstag einen gefälschten Stempel der Wahlkommission.

Angesichts der zahlreichen Skandalberichte platzte Präsident Poroschenko am Vorabend der Wahl der Kragen. „Das ist eine Schande“, wettert der Staatschef in einem TV-Interview. „Es kann nicht sein, dass Ukrainer wieder mit Buchweizen gekauft werden.“ Eine harte Reaktion des Staatschefs blieb zunächst aus.

Die Parlamentswahl im vergangenen Jahr sei ehrlich gewesen im Gegensatz zum Votum 2012, als noch der 2014 vor proeuropäischen Protesten nach Russland geflohene Viktor Janukowitsch an der Macht gewesen war. „Diese Wahl wirft uns zurück in das Jahr 2012“, warnt Poroschenko vor undemokratischen Zuständen.

Scharfe Kritik aus Russland und von linken Kräften in der EU am demokratischen Verständnis der Ukraine hatte zuletzt auch das Verbot von drei kommunistischen Parteien ausgelöst. Der Schritt ist Teil eines „Prozesses zur Entkommunistifizierung“ der Ex-Sowjetrepublik. Gegner dieses Kurses sprechen von einer „Hexenjagd“.

Die ukrainische Öffentlichkeit reagiert zumeist mit Schulterzucken auf die Vorgänge. „Peinlich und traurig“, schrieb die Chefredakteurin der Onlinezeitung Ukrainskaja Prawda, Sewgil Mussajewa, über die Wahl in Tschernihiw. Die Kandidaten Beresenko und Korban haben bereits mit Klagen im Falle ihrer Niederlage gedroht. Der Abgeordnete der Präsidentenpartei und Ex-Journalist Mustafa Najem fordert, beide aus dem Rennen zu nehmen. „Mit freier Willensäußerung hat das nichts mehr zu tun“, kommentiert er bei Facebook.