Unterwegs zu seltsamen Traumlandschaften
Julia Holter entführt mit ihrem neuen Album „Have You In My Wilderness“ auf die eingängig-lichte Seite des experimentellen Pop.
Von Silvana Resch
Innsbruck –Spinettklänge und sirenenhafte Chöre öffnen ein Tor, der Album-Opener „Feel You“ führt geradewegs in das eigentümlich schimmernde Zwischenreich, das Julia Holter auf ihrem neuen Album „Have You In My Wilderness“ zeichnet. Die kalifornische Komponistin und Multiinstrumentalistin verschmilzt einmal mehr Elemente klassischer und neuer Musik mit Indie-Pop, Jazz und flirrender Elektronik. Zehn Titel, frei schwebende musikalische Preziosen, angesiedelt irgendwo zwischen Wach- und Traumzustand, sind darauf versammelt. Holter hat atmosphärisch dicht gewoben, ihr nunmehr viertes Album ist anspruchsvoll und ansprechend zugleich.
Mit ihren Veröffentlichungen hatte es die 30-Jährige dem Hörer bislang nicht allzu leicht gemacht. Holter, die Komposition an der Kunsthochschule CalArts in Los Angeles studierte, liegt die große theatrale Geste. Ihr Debüt „Tragedy“, inspiriert von Euripides klassischem Tragödienstoff „Hippolytus“, sicherte ihr 2011 die Aufmerksamkeit der Kritiker. Viel Beifall gab es im Jahr darauf auch für den etwas zugänglicheren Liederzyklus „Ekstasis“, für den Holter Zitate von Virginia Woolf oder Frank O’Hara verarbeitete. Bei ihrer dritten und bislang poppigsten Platte „Loud City Songs“ diente indes die französische Novelle „Gigi“ als Vorlage. Prätentiös wirkte Holter bei all diesen Unterfangen dennoch nie, ihre Arbeit zeichnet sich durch delikate Sorgfalt aus.
Es sind zumeist recht lichte, stets komplexe Popballaden die nun auf „Have You In My Wilderness“ betören, ein Album, das auf ein durchgängiges Narrativ verzichtet. Das Gegenüber wird da schon mal zum Sagenwesen, etwa im eingangs erwähnten „Feel You“ und ebenso leicht, wind- und sonnengetragen kommt der Song „Sea Calls Me Home“ daher. „Lucette Stranded On The Island“ entführt indes an prächtig leuchtende Strände, seltsame Vögel singen dort ihre Lieder, umspült von eigenartig verführerischen „Uh-ahs“ der Sirenen – fein austariert jeder noch so kleine Zwischenton auf diesem Album.
Düstere, schwere Themen werden mit traumwandlerischer Leichtigkeit verhandelt, beschwingt und verspielt klingt das Stück „Silhouette“, jazzig die Nummer „Vasquez“, während sich Holter in „How Long“ wohl mit einem Augenzwinkern die dunkel-holprige Intonation deutscher Sängerinnen wie Marlene Dietrich oder Nico zu eigen macht. Trotz der üppig verwendeten Halleffekte klingt die Stimme der 30-Jährigen niemals entrückt, kristallklar schraubt sie sich hoch, im Zwiegespräch mit üppigen Streichern, während ein Synthesizer-Teppich dafür Sorge trägt, dass diese fragilen Songgebilde niemals den Boden berühren.
Mit Worten wie „feenhaft“ und „ätherisch“ wird Holters Album in aktuellen Rezensionen gerne beschrieben, Vergleiche mit Laurie Anderson drängen sich auf. Doch auch wenn hier die vielfältigsten Einflüsse von kalifornischem Pop der 1970er-Jahre bis Country anklingen, so gelingt Holter mit „Have You In My Wilderness“ etwas ganz Eigenständiges, Einzigartiges, wie es wohl nur Traumlandschaften sein können.