Wahl ohne Auswahl in Weißrussland: Lukaschenko will fünfte Amtszeit
Minsk (dpa) - Seit mehr als 20 Jahren regiert Staatschef Lukaschenko die ehemalige Sowjetrepublik Weißrussland mit harter Hand. Auch die Prä...
Minsk (dpa) - Seit mehr als 20 Jahren regiert Staatschef Lukaschenko die ehemalige Sowjetrepublik Weißrussland mit harter Hand. Auch die Präsidentenwahl wird daran nichts ändern. Derzeit spielt „Europas letzter Diktator“ aber eine ungewöhnliche Rolle als Mittler zwischen Ost und West.
Wo der Feind steht, ist für Weißrusslands Opposition längst klar: Der autoritäre Staatschef Alexander Lukaschenko soll endlich weg von der Spitze der früheren Sowjetrepublik. Doch „Europas letzter Diktator“, der die Macht seit mehr als 20 Jahren fest in Händen hält, muss auch bei der Präsidentenwahl an diesem Sonntag (11. Oktober) keinen Gegner fürchten. Seit Lukaschenko 1994 an die Macht kam, hat er alle demokratischen Institutionen ausgehebelt. „Zu viel Demokratie ist ekelerregend“, betonte der 61-Jährige einmal.
Die gegenseitigen Sanktionen des Westens und Russlands in der Ukrainekrise bieten Belarus nun unerwartete Verdienstmöglichkeiten. Moskau hat die Einfuhr zahlreicher westlicher Lebensmittel aus der EU verboten, sie kommen aber trotzdem ins Riesenreich - via Weißrussland. Firmen in Minsk verarbeiten Fleisch, Käse und Fisch aus der EU und verkaufen sie - oft als „Eigenprodukte“ - nach Russland. Die Führung in Minsk sieht darin keinen Widerspruch zu der von Kremlchef Wladimir Putin vorangetrieben Eurasischen Wirtschaftsunion.
Lukaschenko nutzt die Lage auch politisch. Weißrussland tritt bei den Friedensgesprächen für die Ostukraine demonstrativ als Vermittler auf und lädt immer wieder zu Gesprächen nach Minsk ein. Im Februar handelte dort Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Putin und dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko in einer Nachtsitzung ein wichtiges Friedensabkommen aus. Lukaschenko hoffe, aus seinem Land eine Brücke zwischen Ost und West zu machen, meint der Politologe Alexander Klaskowski in einem Zeitungsinterview. Dabei habe sich am Druck gegenüber der Opposition und Medien nichts geändert.
Traten bei der Präsidentenwahl 2010 noch neun Bewerber gegen Lukaschenko an, gilt diesmal die politische Newcomerin Tatjana Korotkewitsch als einzige wirkliche Oppositionskandidatin. Mehrere Konkurrenten ließ der Präsident erst aus dem Gefängnis, als die Anmeldefrist für die Abstimmung verstrichen war. Andere unabhängige Kandidaten wurden vom Geheimdienst KGB unter Druck gesetzt. Die weißrussische Opposition warnt den Westen mit Nachdruck davor, sich von dem „gewieften Taktiker“ Lukaschenko einwickeln zu lassen.
Immer wieder hatte der Westen dem Präsidenten Brücken gebaut - ob mit der EU-Ostpartnerschaft oder möglichen Milliardenhilfen. Doch von Reformen in dem Land, das als letzter Staat in Europa die Todesstrafe vollstreckt, will der Sowjetnostalgiker nichts wissen. In Europa ist kein Staatschef länger im Amt - Monarchen ausgenommen.
Lukaschenko hat immer wieder deutlich gemacht, dass ihn Sanktionen und Einreiseverbote des Westens im Grunde kalt lassen. Spätestens seit der blutigen Niederschlagung von Protesten gegen seine manipulierte Wiederwahl 2010 stehen die Zeichen zwischen Weißrussland und der Europäischen Union sowie den USA auf Konfrontation.
Aber trotz der schweren Zerwürfnisse sei die Tür zwischen Minsk und Brüssel „einen Spalt weit offen“, meinte Klaskowski einmal. Wegen seiner Lage zwischen der EU und Russland sei Weißrussland für den Westen von strategischer Bedeutung. Belarus wiederum braucht Geld. Lukaschenko hat zwar mit China und dem Iran Kredite ausgehandelt, und auch Russland pumpt Milliarden in den Bruderstaat. Dennoch leiden viele der 9,5 Millionen Einwohner etwa an einer massiven Inflation.
„Dass das aktuelle Wirtschaftsmodell ausgedient hat, räumen sogar weißrussische Spitzenfunktionäre hinter vorgehaltener Hand ein“, meint der Gewerkschaftler Alexander Jaroschuk. Niemand wage aber, „Batka“ (Väterchen) Lukaschenko offen zu widersprechen.
Viele Einwohner hätten ihre Heimat aus Enttäuschung über mangelnde Fortschritte bereits verlassen, sagt Anatoli Lebedko von der Vereinigten Bürgerpartei. „Immer mehr Menschen haben genug von Lukaschenkos Fassadendemokratie“, meint er. Schon jetzt leben rund eine Million Weißrussen zum Beispiel in Polen, im Baltikum oder in Berlin. Für Lukaschenko sind dies „Verräter“. Er vermisse „solche schlechten Patrioten“ nicht, sagte er einmal.