Flüchtlinge - Internationale Pressestimmen zur Türkei und EU-Politik
Budapest (APA/AFP/dpa) - Zu den Verhandlungen zwischen der Türkei und der EU zur Flüchtlingskrise schreiben internationale Tageszeitungen am...
Budapest (APA/AFP/dpa) - Zu den Verhandlungen zwischen der Türkei und der EU zur Flüchtlingskrise schreiben internationale Tageszeitungen am Dienstag:
„Nepszabasdag“ (Budapest):
„Wahrlich kann man jemandem, der verdienstvoll zur Linderung der Folgen einer schweren Krise und zur Verminderung der Belastung für Europa beitragen kann, kaum die Bedeutung seiner Rolle absprechen. Obwohl die Türkei jetzt überhaupt nicht mehr sicher ist, ob sie der EU beitreten will, tut es (dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip) Erdogan offensichtlich gut, dass Europa sein Wohlwollen braucht, seine wirtschaftliche und militärische Kraft sowie seine Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Man kann die Außengrenze der Europäischen Union, so scheint es, ohne die Türken nicht schützen. (...)
Darum kam Erdogans lange verzögerte Reise nach Brüssel zur rechten Zeit, die er offensichtlich zu einem prächtigen Siegeszug gemacht hat. Der eher repressive Charakter des Regimes in Ankara, der sich verringernde Spielraum der politischen Gegner und der Medien interessiert Europa jetzt nicht besonders. Auch nicht, dass die Türkei islamischer wird. Jetzt gibt es andere Prioritäten.“
„Magyar Idök“ (Budapest):
„Es ist bedauerlich und gewissermaßen hoffnungslos, dass entscheidungsunfähige Menschen die EU-Staaten führen. Anders als von den Regierungschefs erhofft, ist die jetzige Menge der Migranten nur die Spitze des Eisbergs. Die Mehrheit, die vielen Millionen Muslime und andere potenzielle Einwanderer, hat noch gar nicht zu packen begonnen. Aber ihre Angehörigen sind schon dabei, das Familiensilber zu Geld zu machen, um deren Reise nach Europa zu finanzieren.“
„Sme“ (Bratislava):
„Es ist schön von der deutschen Kanzlerin Merkel, dass sie das Risiko auf sich nimmt, dass ihr nicht nur die opponierende CSU, sondern auch Pegida über den Kopf wächst. Dieselbe Tapferkeit darf sie aber nicht von politischen Führern verlangen, die eine ganz andere Sicht auf die Flüchtlingsproblematik haben. Ohne Einigung geht es nicht, deshalb muss zu den wohl unvermeidlichen dauerhaften EU-Flüchtlingsquoten auch die Bedingung hinzukommen, dass die (Schengen-)Außengrenzen dichter werden. Nur so kann es zwischen den beiden Sichtweisen auf den Flüchtlingsstrom wenn schon kein Gleichgewicht, dann zumindest eine Art Streitberuhigung geben.“
„Neue Zürcher Zeitung“:
„In diesem politischen Prozess kommt Deutschland mit seiner Kanzlerin Angela Merkel eine besondere Rolle zu. Obama und Putin verbindet nichts als tiefste gegenseitige Verachtung. Sie bedürfen also eines von beiden anerkannten Moderators. Das ist Frau Merkel. In der europäischen Flüchtlingskrise mit vielen syrischen Flüchtlingen hat sie das Handlungszepter an sich genommen. (...) Das gilt jetzt auch für Syrien. Die beiläufige Forderung der Kanzlerin, Putin und sogar Assad politisch mit einzubinden, bedeutet einen pragmatischen Schlussstrich unter eine vor allem auf ‚regime change‘ ausgerichtete westliche Nahostpolitik. Im geopolitischen Spiel in Syrien und im Nahen Osten werden derzeit die Karten neu gemischt. Frau Merkel zeigt: Sie ist sich ihrer Verantwortung darin bewusst.“
„Tages-Anzeiger“ (Zürich):
„Es rächt sich jetzt, dass die EU die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei über zehn Jahre nur lustlos geführt und zuletzt überhaupt hat einschlafen lassen. Die Europäer haben den großen Nachbarn zu lange sträflich ignoriert. Dabei ist dieser bei fast allen großen Zukunftsfragen ein Schlüsselstaat (...).
Mehr als vier Jahre lang ließ man die Türkei allein mit der Last von zuletzt mehr als zwei Millionen Flüchtlingen. Erst jetzt, da diese die Hoffnung auf eine Rückkehr in ihre Heimat verlieren und sich Richtung Europa auf den Weg machen, erinnert man sich in Brüssel und den anderen Hauptstädten an den großen Nachbarn. Die Ausgangslage ist inzwischen allen klar: Ohne Hilfe der Türkei kann die EU die Kontrolle über ihre Grenzen nicht zurückgewinnen.“
„Welt“ (Berlin):
„Die EU ist unter dem Eindruck der Flüchtlingskrise endlich bereit, das zu tun, was sie seit Ausbruch der Syrien-Krise 2011 versäumt hat: bei der Unterbringung der zwei Millionen syrischen Flüchtlinge in der Türkei zu helfen. Zusammenarbeit und Hilfe bedeuten nicht, dass die zunehmend autoritären und islamistischen Züge Erdogans zu ignorieren wären. (...) Gewiss trägt er eine Mitverantwortung für die bei uns anschwellende Zahl der Flüchtlinge. Erdogan hat sich von Europa entfernt. Aber die allein auf die Euro-Krise fokussierte EU ließ ihn ziehen. Dieses fatale Disengagement hat sich als unhaltbar erwiesen. Es ist Zeit, an den Bosporus zurückzukehren.“