Experte: Gutachter-System in der Forschung gehört neu organisiert
Klosterneuburg/Wien (APA) - Unabhängige Experten-Gutachten spielen eine wichtige Rolle in der Forschung. Dieses Peer-Review-Verfahren bestim...
Klosterneuburg/Wien (APA) - Unabhängige Experten-Gutachten spielen eine wichtige Rolle in der Forschung. Dieses Peer-Review-Verfahren bestimmt, ob ein Artikel für ein Fachjournal publikationswürdig ist, und dient dazu, Wissenschafter und ihre Arbeiten nach Qualität und Wichtigkeit („Impakt“) einzustufen. Um Kosten und Zeit zu sparen, sollten die beiden Aspekte getrennt werden, fordert der Wissenschaftspublizist Jan Velterop.
„Das Problem ist nicht so sehr Peer Review selbst, aber die Art, wie es organisiert ist“, sagte Velterop anlässlich eines Vortrags heute, Dienstagabend, am Institute of Science and Technology (IST) Austria im Gespräch mit der APA. Das Peer-Review-Verfahren an sich, bei dem Wissenschafter mit ähnlichem fachlichen Hintergrund die Arbeit eines Kollegen begutachten, sei schon zeitaufwendig genug. Hinzu komme die schwerfällige Organisation des Systems durch die Wissenschaftsmagazine.
Vor dem Hintergrund einer ständig steigenden Anzahl von publizierten Artikeln - Velterop spricht von einer jährlichen Steigerungsrate von vier bis fünf Prozent - und dem langwierigen Prozess der Begutachtung würden Forschungsergebnisse meist mit zu großer Verzögerung publiziert. „Es ist fast unmöglich, etwas mit all dieser Information anzufangen und alles ordentlich zu begutachten. Die alten Herangehensweisen sind einfach nicht mehr nach oben skalierbar.“ Generell sei der Fokus der Journale zu sehr auf die Bewertung der Karriereentwicklung von Wissenschaftern gerichtet, die Kommunikation der Forschungsergebnisse komme zu kurz.
„Diese Prozesse, für Karriere- oder Prestigezwecke und die anderen für die Kommunikation der Forschungsergebnisse, sollten getrennt werden“, schlägt Velterop vor. Sogar das klassische Peer Review von zur Veröffentlichung eingereichten Arbeiten könnte entfallen. Vielmehr sollte, wie bei dem Dokumentenserver „ArXiv“ im Bereich Physik und Mathematik schon heute üblich, ohne große Hürden publiziert werden können: „Die Lösung ist zunächst alles zu publizieren, was nicht als komplett durchgeknallte Wissenschaft gilt. Das ist relativ einfach festzustellen.“ Die Fachleute in den jeweiligen Disziplinen könnten die Qualität von Veröffentlichungen selbst am besten beurteilen. Denkbar sei eine Art Qualitätsabzeichen für Artikel, das die Community später selbst vergeben könnte.
„Fast noch wichtiger sind die enormen Kosten, die das jetzige System verursacht. Es kostet jährlich Milliardenbeträge“, kritisiert Velterop: „Aber seien wir uns ehrlich: Nicht jeder Artikel muss beurteilt werden, nicht jeder muss den ganzen Prozess von Einreichung und Ablehnung durchlaufen.“ Dies bedeute lediglich viel Arbeit und sei eine vermeidbare Bürde für die wissenschaftlichen Begutachter. Außerdem würden heute „negative“ Ergebnisse vielfach nicht publiziert, weil sie Journalen nicht interessant genug erscheinen, „also nicht wegen der Qualität, sondern weil sie vielleicht nicht oft zitiert werden könnten“, so der Experte.
Der Nutzen einer Trennung dieser Prozesse für die Wissenschaftergemeinde wäre enorm, ist Velterop überzeugt. Zuerst einmal würde alles viel schneller publiziert werden: Manchmal spiele die Zeit keine so große Rolle, aber in sich schnell bewegenden Gebieten wie der Medizin sei schon eine Verzögerung von ein paar Monaten von Nachteil.
„Das derzeitige Journalsystem mit seinen enorm teuren und komplizierten Mechanismen ist einfach nicht notwendig“, betont der Wissenschaftspublizist. Das Beispiel von „ArXiv.org“ und dem jüngeren Pendant im Bereich Biologie „bioRxiv“ würden den Weg voran zeigen.
Der seit vielen Jahren in England lebende gebürtige Niederländer kennt beide Seiten der Medaille. Der Meeres-Geophysiker war unter anderen für den Wissenschaftsverlag Elsevier tätig und später erster Direktor des Open-Access-Journals BioMed Central (BMC). Heute ist er in Pension und „komplett unabhängig“. Velterops Vortrag ist Teil einer von IST Austria, der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und dem Wissenschaftsfonds (FWF) initiierten Vorlesungsreihe zum Thema „New Trends in Scholarly Communication“.
(S E R V I C E - Jan Velterop hält heute um 17 Uhr am IST Austria einen Vortrag zum Thema „Peer Review - limitations, future development, alternatives“. Nähere Informationen unter: http://go.apa.at/yxH0KqUP)