Verwirrende Lage in Syrien: Welche Folgen hat Russlands Eingreifen?
Russland bombardiert seit rund einer Woche Stellungen in Syrien, auch die US-geführte Koalition fliegt neue Luftangriffe. Die Lage wird immer unübersichtlicher. Fragen und Antworten zur aktuellen Situation im syrischen Bürgerkrieg.
Von Thomas Körbel und Jan Kuhlmann/dpa
Wird es nun eine Bodenoffensive geben?
Danach sieht es im Moment aus. Mehrere Quellen berichten, Kräfte des syrischen Regimes, der libanesischen Schiitenmiliz Hisbollah und der iranischen Revolutionsgarden wollten im Nordwesten mit russischer Hilfe Gebiete angreifen, die unter Kontrolle eines Bündnisses moderater und radikaler Rebellengruppen stehen. Der „Islamische Staat“ (IS) ist dort nicht aktiv. Nach Meinung von Experten ist Russlands Hauptziel, den syrischen Präsidenten Bashar al-Assad zu stützen.
Die Offensive soll die Regimehochburg um die Küstenstadt Latakia und Versorgungswege der Armee schützen, die von Regimegegnern bedroht werden. Beobachter rechnen zudem damit, dass die Russen einen Militärflughafen östlich von Aleppo sichern wollen, um ihn als Stützpunkt zu nutzen. Der Flugplatz wird vom IS belagert.
Schickt Russland bald eigene Bodentruppen in den Kampf?
Präsident Wladimir Putin hat dies bisher klar ausgeschlossen, und die russischen Behörden geben diese Haltung mantraartig wieder. Doch zuletzt brachte der Verteidigungspolitiker Wladimir Komojedow einen Einsatz russischer Freiwilliger - mit Kampferfahrung unter anderem aus der Ostukraine - auf der Seite der syrischen Armee ins Spiel. „Wahrscheinlich ist das die persönliche Meinung des Abgeordneten, aber man darf nicht ausschließen, dass die Polittechnologen die öffentliche Meinung auf einen Einsatz von Bodentruppen vorbereiten“, kommentiert die durchaus kritische Moskauer Zeitung „Wedomosti“.
Was hat Russland bisher erreicht?
Aus Sicht westlicher Experten und syrischer Aktivisten nicht viel. Anstatt wie von Russland dargestellt die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) zu bombardieren, würden vor allem andere Rebellengruppen angegriffen, heißt es. US-Präsident Barack Obama warnt vor einer Stärkung der Extremisten durch die russische Intervention. Beobachter sehen den IS als wahren Sieger. Die russischen Behörden berichten indessen täglich von Luftangriffen auf mutmaßliche IS-Stellungen.
Wie werden die Luftangriffe in Russland wahrgenommen?
Die breite Mehrheit der Russen verfolgt den Einsatz in Syrien mit Skepsis. Nach einer Erhebung des Lewada-Zentrums unterstützten vor Beginn der Luftangriffe lediglich 14 Prozent der Befragten eine Intervention. Zugleich wächst die Angst vor Terroranschlägen in russischen Großstädten. Die Wahrscheinlichkeit von Racheattacken des „Islamischen Staates“ in Russland sei hoch, warnt der Experte Alexej Malaschenko vom Moskauer Carnegie Center. Mehr als 2.000 russische Staatsbürger sollen sich den Extremisten angeschlossen haben.
Die Staatsmedien mobilisieren enorme Kräfte, um Russlands Hilfe für Assad zu einem Teil des Alltags der Menschen zu machen. Eine TV-Moderatorin beschrieb kürzlich in nahezu zynischer Sachlichkeit stabile Wetteraussichten für die Einsätze der russischen Kampfjets in Syrien.
Werden Russland und die USA gemeinsam in Syrien kämpfen?
Absprachen unter den Militärs sind gang und gäbe, um gefährliche Zwischenfälle zu vermeiden. Aber nach einem gemeinsamen Vorgehen sieht es nicht aus. US-Verteidigungsminister Ash Carter führt dies auf unterschiedliche Strategien zurück. „Russland unterstützt Assad, statt einen politischen Übergang, und kämpft inzwischen gegen alle verschiedenen Gegner von Assad“, sagt Carter. „Unser Herangehen ist anders. Wir streben zeitgleich eine Niederlage des IS und einen politischen Übergang in Syrien an.“ Wenn die Russen bereit wären, ihren Ansatz zu korrigieren, „könnten wir Brücken bauen“.
Plant die US-geführte Allianz einen Strategiewechsel?
Eine von den USA angeführte Koalition fliegt seit gut einem Jahr Luftangriffe in Syrien. Das Bündnis wolle jetzt eine Front aufbauen, um den Druck auf Raqqa, die wichtigste IS-Hochburg in Syrien, zu verstärken, berichtete die „New York Times“ unter Berufung auf einen ranghohen Regierungsmitarbeiter. Demnach sollen Kampfflugzeuge der Verbündeten bis zu 5.000 arabische und 20.000 kurdische Kämpfer unterstützen. Ziel sei unter anderem, die Versorgungslinien der Terrormiliz abzuschneiden und den IS so zu schwächen.
Wer kämpft gegen wen in Syrien?
Regime: Die Armee kontrolliert noch immer die meisten großen Städte wie Damaskus, Homs, Teile Aleppos sowie den Küstenstreifen. Unterstützt werden Assads Anhänger von der libanesischen Schiiten-Miliz Hisbollah sowie von iranischen Kämpfern und jetzt auch durch russische Kampfjets.
„Islamischer Staat“ (IS):
Die Terrormiliz kontrolliert im Norden und Osten riesige Gebiete. Allerdings mussten die Extremisten in diesem Jahr mehrere Niederlagen gegen die syrischen Kurden einstecken.
Jaish al-Fatah:
Dabei handelt es sich um ein Bündnis verschiedener moderater und radikaler Gruppen, darunter die radikale Al-Nusra-Front, die islamistische Miliz Ahrar al-Sham und Brigaden, die sich als Teil der moderaten Freien Syrien Armee (FSA) sehen. Das Bündnis beherrscht im Nordwesten Syriens die Provinz Idlib.
Al-Nusra-Front:
Der Ableger des Terrornetzwerkes Al-Kaida vertritt eine ähnliche Ideologie wie der IS, die beiden Gruppen sind aber miteinander verfeindet. Die Al-Nusra-Front ist vor allem im Nordwesten des Landes stark, kämpft aber auch im Süden.
Ahrar al-Sham:
Die islamistische Miliz ist neben der Al-Nusra-Front die wichtigste Kraft des Rebellenbündnisses Jaish al-Fatah. Sie gibt sich pragmatischer und weniger radikal als der Al-Kaida-Ableger.
Freie Syrische Armee:
Die FSA ist keine Armee im eigentlichen Sinne, es gibt auch keine einheitliche Führung. Mehrere moderate Gruppen rechnen sich ihr jedoch zu. Stark sind diese im Nordwesten, wo sie auch zu dem Rebellenbündnis gehören, sowie im Süden. Sie werden vom Westen unterstützt.
Kurdische Volksschutzeinheiten (YPG):
Mithilfe der US-Luftwaffe konnte die YPG den IS aus großen Gebieten im Norden Syriens zurückschlagen. Dort haben die Kurden eine Selbstverwaltung aufgebaut. Sie kooperieren mit dem Regime, aber auch mit dessen Gegnern. Zuletzt kam es jedoch zu Zusammenstößen mit Rebellengruppen in Aleppo.