Die Hölle in eine Rille geritzt
Heimische Beat-Perlen und seltsamer Garagenrock sind auf der Compilation „Schnitzelbeat“ versammelt. Die darauf vertretenen Tiroler „The Boys“ haben in den 1960er-Jahren in Hamburg Eindruck gemacht.
Von Silvana Resch
Innsbruck – „Vergasen“ oder „Arbeitslager“, Walla Mauritz, Leadsänger der Wiener Psychedelic-Rock-Formation Novak’s Kapelle, erinnert sich im schönen Booklet von „Schnitzelbeat No. 2“ an die gehässigen Worte, die gezischelt wurden, wann immer er in eine Straßenbahn einstieg. Der Beat-Bewegung wurde hierzulande mit offener Aggression begegnet – oder zumindest mit Argwohn. So versuchten diverse Medien, im Vorfeld des ersten Rolling-Stones-Auftritts in Österreich vor genau 50 Jahren den Ausnahmezustand herbeizutrommeln. Dass die vielfach beschworenen Randale beim Konzert in der Wiener Stadthalle ausblieben, wurde beinahe mit Enttäuschung registriert. Die Beat-Fans mit ihren langen Haaren (alles, was über das Ohr reichte, war Zeichen völliger Verwahrlosung) und den spitzen Schuhen galten als „Gammler“. Und jene, die – infiziert von dem Fieber der Stones – selbst über Nacht eine Band gegründet hatten, wurden als Kulturbanausen mit mangelnder Konstanz diskreditiert. Rund 1800 Amateurbands soll es in den Jahren 1966/67 in Österreich gegeben haben, der ständige Wechsel der Mitglieder war nach Ansicht der Kritiker aber noch deren geringstes Problem: „Man könnte glauben, bei uns werden noch immer Platten hergestellt, indem man mit einem großen Nagel die Rillen zieht und dabei leise vor sich hin trällert“, schrieb Herbert O. Glattauer 1967 in der Kurier „Hitparade“. Dieses Zitat ist gleichsam Schlusswort des 16-seitigen, wohlrecherchierten Booklets der „Schnitzelbeat“-Compilation „Raw Teenage Beat and Garage Rock Anthems from Austria 1964 bis 1976“. Die darauf versammelten Bands machten sich in ihrer Namensgebung manches Mal selbst über diese Ressentiments lustig, etwa The Lost Generation oder The Gamblers aus Vorarlberg, benannt nach dem englischen Wort für Spieler, das sich lautmalerisch an den viel strapazierten Begriff „Gammler“ anschmiegt.
Der Wiener Al Bird Sputnik hat in seinem Wiener Popkulturforschungsinstitut Trash Rock Archives mehrere Hunderte Aufnahmen aus dieser Zeit zusammengetragen. Ein überraschend-eindrucksvoller Beleg dafür, dass es zur damaligen Zeit in Österreich sehr wohl einen Underground gab, in dem es zudem ordentlich rumpelte und krachte. Im Radio fanden die brachialen Beat- und Garagenrock-Bands allesamt nicht statt, dies sollte sich erst 1967 mit der Gründung des Jugendsenders Ö3 ändern.
Die Beat-Combos fristeten ein Dasein zwischen Proberaum, Tanzboden und Band-Contest. Dort winkte dem Sieger manches Mal die Produktion einer Single. Originalität war dabei kein Qualitätsmerkmal, vielmehr wurde versucht, möglichst exakt so wie die eigenen Vorbilder zu klingen. Die Bands machten sich mit „Wir sind die Vienna-Beatles“ vorstellig oder freuten sich über Zuschreibungen wie die „Yardbirds von Leonding“.
Die Beat-Compilation ist nach dem „Schnitzelbeat“-Erstling „Twisted Rock’n’Roll, Exotica und Pro-Beat Unknowns from Austria“ Al Bird Sputniks zweiter Streich, insgesamt fünf Volumes sind geplant. Erneut hat Sputnik Seltsamkeiten, Raritäten und Preziosen zusammengetragen, titelgebend für Volume 2 die Single „You Are the Only One“ der Wiener Proto-Punk-Band The Slaves, die mit den Kinks und den Lords durch Deutschland, Frankreich und die Schweiz tourten. Mit den Worten „Keiner weiß, woher sie kommen, sie kommen aus der Hölle“ wurden The Slaves angekündigt, nach zwei Jahren war die Band aber auch schon wieder Geschichte.
Nicht aus der Hölle, sondern aus Innsbruck kamen The Boys, Schulabbrecher, die ihre enge Heimat rasch verließen, um wenig später mit den Beatles in Hamburg abzuhängen. Es soll gemeinsame After Hours in Hotelzimmern gegeben haben – das hat der Innsbrucker DJ Albrecht Dornauer, der an der „Schnitzelbeat“-Compilation mitarbeitete, recherchiert. Dornauer besitzt selbst nahezu die gesamte Diskographie der Boys, die – ebenso wie die Austro-Aushängeschilder The Slaves – Popgeschichte geschrieben haben. „Die Boys haben die erste österreichische Beat-LP gemacht, die je erschienen ist“, schwärmt Dornauer, der von der „Kompromisslosigkeit“ der Tiroler beeindruckt ist. Er plant, die Boys-Platte nächstes Jahr neu aufzulegen. Mit dem Kulturverein Digatone, den er gemeinsam mit Weekender-Club-Gründer Justin Barwick ins Leben rief, hat er nicht nur die „Schnitzelbeat“-Volumes als LPs veröffentlicht, auch Platten der Tiroler Progressive Rock Bands Klockwerk Orange und Isaiah sind erschienen. Der Verein arbeite an der Neuschreibung der Austropop-Geschichte, so Dornauer. Gemeinsam mit den Trash Rock Archives ist man dabei recht gründlich zugange.