„Fräulein Julie“ als wirre Furie im Theater in der Josefstadt
Wien (APA) - Ein verglaster Guckkasten, gelbliches Licht, abgehackte Bewegungen und kein Ton: Anna Bergmanns Inszenierung von August Strindb...
Wien (APA) - Ein verglaster Guckkasten, gelbliches Licht, abgehackte Bewegungen und kein Ton: Anna Bergmanns Inszenierung von August Strindbergs „Fräulein Julie“ im Theater in der Josefstadt hebt an wie ein Stummfilm – und entwickelt sich im Laufe von 90 Minuten zu einem als Bühnenstück getarnten Musikvideo. Immerhin: Das starke Ensemble meistert die inszenatorische Überambitioniertheit mit viel Körpereinsatz.
Herrin und Diener beginnen eine Affäre, in Folge entbrennt ein Macht- und Geschlechterkampf, die Ehre ist dahin und die Katastrophe perfekt. Ein Strickmuster, das in der Literatur des 19. Jahrhunderts mehr als gut funktioniert hat, hält einer Neubewertung im Heute nur selten stand. Und so versucht auch die deutsche Regisseurin Anna Bergmann, ihrer Deutung von Strindbergs – auch vielfach verfilmtem - Werk aus dem Jahr 1888 bei der Premiere am Dienstagabend etwas Neues abzugewinnen. In ihrem Fall ist es die Umkehrung des Altersverhältnisses der Protagonisten.
Aus der ursprünglich jungen Adeligen Julie, die aus ihren standesgemäßen Konventionen auszubrechen versucht, wird eine abgebrühte, männerhassende und latent wahnsinnige alte Furie, die sich den knackigen, aber durchaus durchtriebenen Diener Jean schnappt, um sich zu belustigen. Sona MacDonald gibt die mit roter Perücke bestückte und von zahlreichen Selbstverstümmelungen gezeichnete Julie mit einer bewundernswerten Mischung aus Borderline-Syndrom und nüchterner Abgeklärtheit und lässt Florian Teichtmeister als hyperaktiven Testosteron-Junkie Jean zwar in sich rein, aber niemals an sich ran.
Diese Julie hat nichts mehr zu verlieren, ruft aber - da man ja schließlich mehr oder weniger Strindbergs Text gibt - dennoch mehrfach zur Flucht (in die Schweiz oder in den Tod, egal) auf. Während sich Jean die Flucht in ein neues Leben (mit Julies altem Geld) gerade noch so vorstellen kann, ist Sterben für ihn keine Option. Also geht es munter hin und her, mal erhebt er sich über die Geliebte („Du Hure“), dann wieder gibt er vor, sie anzubeten. Mal schlägt er sie ins Gesicht und zieht sie an den Haaren, mal streichelt er vertrauenserweckend ihre Wange. Wo eigentlich das Problem in dieser kurzen, heimlichen Affäre liegt, wird in dieser sich in einer Gewaltspirale verheddernden Inszenierung nicht wirklich klar. Heutzutage – und dorthin bewegt sich die Inszenierung nach dem anfänglichen historischen Zitat im Guckkasten – könnte man es ja einfach darauf beruhen lassen und wieder auseinandergehen.
In diesem Widerspruch zerrieben wird Jeans Verlobte Kristine (Bea Brocks), die auch nicht wirklich weiß, was sie von dieser erotischen Verirrung halten soll. Die Gottesfurcht aus dem Original ist in der Josefstadt einer emanzipatorischen Entwicklung gewichen, am Ende ist es in Bergmanns Deutung Jean, der sein Leben lassen muss. Zum Leben erweckt wird hingegen jener Vogel, an dem Julie so hängt und dem Jean kurzerhand den Kopf abhackt: Bergmann hat mit Jan Plewka eine reale Vogelfigur geschaffen, die immer wieder als Julies Alter Ego durch die Kulissen schleicht und gemeinsam mit Sona MacDonald die zahlreichen Lieder anstimmt, die Bergmann – durchchoreografiert bis ins letzte Detail von Jerome Knols - in ihre Inszenierung eingebaut hat.
In diesen Momenten darf Julie zur Rock-Röhre mutieren, im aus dem Schnürboden herabgelassenen bunten Lichterwald auf Schaukeln herumturnen und ihr Innerstes nach Außen stülpen. Das lockert zwar ein bisschen auf, tröstet aber über die mangelnde Kohärenz des Abends nicht hinweg. Bergmanns „Fräulein Julie“ ist vieles: schrill, laut, brutal. Mitreißend ist sie nicht. Viel Applaus für das mit vollem Körpereinsatz fungierende Ensemble.
(S E R V I C E - „Fräulein Julie“ von August Strindberg, Theater in der Josefstadt. Regie: Anna Bergmann. Mit Sona MacDonald, Florian Teichtmeister, Bea Brocks und Jan Plewka. Bühne: Katharina Faltner, Kostüme: Lane Schäfer, Musik: Hannes Gwisdek. Weitere Termine: 9., 12., 13., 15., 25., 25., 26. und 27. Oktober. Karten und Infos unter www.josefstadt.org)