Neue VW-Spitze sagt restlose Aufklärung der Abgas-Affäre zu
Der neue Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch und Vorstandschef Matthias Müller wollen den Folgen des Skandals offen begegnen.
Berlin/Frankfurt/Wolfsburg - Ein neues Führungsduo soll den wegen Abgas-Manipulationen ins Schlingern geratenen deutschen Volkswagen-Konzern in der Spur halten: Eineinhalb Wochen nach der Ernennung von Matthias Müller zum neuen Vorstandschef wählte der Aufsichtsrat am Mittwoch Hans Dieter Pötsch zum Vorsitzenden des Kontrollgremiums.
Bisheriger Finanzchef als neuer Aufsichtsratschef
Der bisherige Finanzvorstand des Wolfsburger Autobauers versprach, die Aufklärung der Abgas-Affäre voranzutreiben: „Es ist mir ein persönliches Anliegen, alles zu tun, damit die Vorgänge restlos aufgeklärt werden.“ Er wolle einen Beitrag leisten, damit das Vertrauen von Kunden, der Öffentlichkeit, Anlegern und Geschäftspartnern in Volkswagen wieder wachsen könne. Vor dem Konzern lägen große Herausforderungen.
Müller kündigte Details zum Rückruf der betroffenen Diesel-Fahrzeuge an. Allein in Europa sind rund acht Millionen Autos von VW mit einer Software ausgestattet, die Abgaswerte manipulieren kann. Die VW-Aktie legte sieben Prozent auf 104 Euro zu, liegt damit aber noch immer 35 Prozent niedriger als vor Bekanntwerden des Skandals. Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte vor den Europäischen Parlament, sie habe den Eindruck, dass sich VW um Transparenz bei der Klärung bemühe.
Der 64-jährige Österreicher Pötsch löst den amtierenden Aufsichtsratschef Berthold Huber, früher Chef der deutschen Gewerkschaft IG-Metall ab, der den Posten im April vorübergehend übernommen hatte. Firmenpatriarch Ferdinand Piech hatte sich nach einem verlorenem Machtkampf mit dem damaligen Konzernlenker Martin Winterkorn von allen Ämtern zurückgezogen. Zum neuen Finanzvorstand wurde Frank Witter bestellt, der bisher die VW-Tochter Financial Services leitet.
Pötsch ist bei Investoren nicht unumstritten. Einige Fondsgesellschaften und Analysten bemängeln, dass Volkswagen die Finanzmärkte erst spät über die Manipulationen informierte. Der Wechsel von Pötsch passe nicht eine „gute Corporate-Governance-Landschaft“, sagte Henning Gebhardt, Aktienchef der Deutsche-Bank-Vermögensverwaltungstochter Deutsche Asset und Wealth Management, dem „Handelsblatt“. Beim Thema Grundsätze guter Unternehmensführung sei VW „stehen geblieben“, kritisierte Gebhardt. „Das Nicht-Einhalten von Standards und eine schlechte Unternehmenskultur können zu einer extremen Schädigung der Marke führen - das sieht man jetzt bei der Diesel-Affäre.“ Auch der neue Vorstandschef Matthias Müller werfe Fragen auf, zumal auch er „aus dem selben Stall“ stamme. Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil stärkte Pötsch indes den Rücken. Die im Vorfeld geäußerte Kritik habe im Kontrollgremium natürlich eine Rolle gespielt. Nach Pötschs Ernennung zum Mitglied des Aufsichtsrats durch das Amtsgericht Braunschweig sei jedoch „sehr klar, dass die vorgetragenen rechtlichen Bedenken nicht greifen“.
Technische Beseitigung des Betrugs bis Ende 2016
Der Rückruf der betroffenen Autos soll im Jänner starten. Die technische Beseitigung des Betrugs dürfe sich bis Ende 2016 hinziehen, sagte Müller der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Der deutsche Verkehrsminister Alexander Dobrindt sagte am Abend, VW habe das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) über Pläne für eine umfassende Rückrufaktion informiert. Eine Bewertung, mögliche Nachfragen und Auflagen für VW wolle das KBA möglichst schnell vorlegen. In dem „umfangreichen Schreiben“ von VW an das KBA sei von einer Rückrufaktion die Rede, von der „Fahrzeuge mit Euro-5-Dieselmotoren der Größe zwei Liter, 1,6 Liter und 1,2 Liter Hubraum“ betroffen seien, sagte Dobrindt. Für die Zwei-Liter-Wagen werde eine Softwarelösung vorgeschlagen, „die noch in diesem Jahr vorliegen soll und ab Beginn des nächsten Jahres umgebaut werden kann“. Bei den 1,6-Liter-Autos werde „zusätzlich zu einer neuen Software mit großer Sicherheit eine motortechnische Anpassung notwendig sein, die laut Volkswagen nicht vor September 2016 zu erwarten ist“, sagte Dobrindt. Hier seien europaweit „unserer Kenntnis nach 3,6 Millionen Fahrzeuge“ betroffen. Das KBA werde nun die von VW beschriebenen Maßnahmen prüfen, daraufhin „eine unabhängige Entscheidung“ treffen „und diese gegenüber Volkswagen anordnen“, sagte Dobrindt. Mit der Entscheidung sei „erst in den nächsten Tagen“ zu rechnen.
Mitte September war bekannt geworden, dass VW Abgaswerte von Dieselfahrzeugen durch eine Software manipuliert hatte, die bei Tests zu einem niedrigeren Schadstoffausstoß als im Normalbetrieb führte. Das KBA forderte daraufhin den nun vorgelegten Zeit- und Maßnahmenplan an.
Zum neuen VW-Finanzvorstand bestellte der Aufsichtsrat Frank Witter. Der 56-Jährige war bisher Vorstandsvorsitzender der Volkswagen Financial Services. Die VW-Tochtergesellschaft ist für die Koordination der weltweiten Finanzdienstleistungen des Konzerns zuständig.
Merkel: Nicht die gesamte Industrie verteufeln
In Deutschland reichte eine Käuferin Schadenersatz-Klage gegen VW ein, wie ihre Anwälte mitteilten. Die Klägerin habe ein umweltfreundliches Auto kaufen wollen, die Abgaswerte seien für sie „kaufentscheidend“ gewesen, erklärte die Kanzlei Jordan Fuhr Meyer in Bochum.
Bundeskanzlerin Angela Merkel rief vor dem Europaparlament in Straßburg dazu auf, nicht die gesamte Autoindustrie zu verteufeln. Die Affäre bei VW müsse aufgeklärt werden. Es dürften nun aber nicht tausende Arbeitsplätze in Europa aufs Spiel gesetzt werden.
VW-US-Chef Michael Horn muss am Donnerstag vor einem Ausschuss des Repräsentantenhauses in den USA Rede und Antwort stehen. In seiner bereits im Voraus verbreiteten schriftlichen Stellungnahme sicherte er den Abgeordneten seine Kooperation zu, lieferte aber kaum Hinweise darauf, wie es zu dem Skandal kommen konnte. (APA/AFP/Reuters/dpa)