Regisseur Parizek: „Uns stehen noch größere Veränderungen bevor“ 1
Wien (APA) - Dusan David Parizek (44) ist derzeit ein viel beschäftigter und gefragter Mann. Am Wiener Volkstheater prägt der in Brünn gebor...
Wien (APA) - Dusan David Parizek (44) ist derzeit ein viel beschäftigter und gefragter Mann. Am Wiener Volkstheater prägt der in Brünn geborene Regisseur den Direktions-Start von Anna Badora. Nach „Nora hoch drei“, einer Übernahme aus Düsseldorf, kommen in Kürze zwei weitere Inszenierungen von ihm zur Premiere: Thomas Bernhards „Alte Meister“ (18.10.) und Peter Handkes „Selbstbezichtigung“ (31.10.).
APA: Herr Parizek, Ihre Akademietheater-Inszenierung „Die lächerliche Finsternis“ hat einen wahren Erfolgslauf - mit Einladung zum Berliner Theatertreffen, beispiellos vielen Nennungen bei der jährlichen Kritikerumfrage sowie nun einer Nestroy-Nominierung als „Beste deutschsprachige Aufführung“. Was ist bei dieser Arbeit derart geglückt, dass alle begeistert sind?
Dusan David Parizek: Die Vorlage setzt sich auf kommensurable Weise mit einem Buch- und einem Filmklassiker auseinander. Bei all den ernsten Themen, die Wolfram Lotz in seinem Stück streift, dem Kolonialismus, globalen Kriegs- und Krisenherden, dem wirtschaftlichen Gefälle zwischen der arroganten Ersten und der ausgebeuteten Zweiten und Dritten Welt, geht es eigentlich um etwas anderes: Der Autor stellt Betroffenheits-Theater infrage, das sich nach wie vor als moralische Anstalt zelebriert, nur um daraus seinen eigenen Legitimitätsanspruch ableiten zu können. Ich habe versucht, auch das zum Gegenstand unserer Arbeit zu erklären. Mittel, mit denen ich seit Jahren arbeite, scheinen dem Publikum in diesem Fall besonders deutlich zu vermitteln, dass es aufgefordert ist, an einem Dialog teilzunehmen. Theater braucht nicht nur relevante Themen, sondern muss auch von einer klaren Haltung geprägt sein. Nicht alle sind begeistert, die Reaktionen sind in der Regel gespalten. Aber auch das gehört meiner Ansicht nach dazu. Theater, dessen klar erkennbarer Stil sich aus einer konkret formulierten Haltung zu der Gesellschaft herleitet, in der es und für die es entsteht, wird nie allen gefallen. Und in der Regel gewinnt es auch keine Preise - es ist nicht mehrheitsfähig.
APA: Was ist dagegen bei Ihrer Festwochen-Produktion „Der Fall Schwejk“ schiefgegangen? Die Kritiken dazu waren ja sehr verhalten.
Parizek: Wenn die oder einige Kritiken verhalten waren, wie Sie sagen, bedeutet das nicht, dass etwas schiefgegangen ist. Ich habe alle vier ausverkauften Vorstellungen miterlebt - sie waren überaus kommunikativ und lebendig, das Publikum ging mit und ließ sich auf die dargebotene Gerichtsverhandlung ein. Wir konnten in unserem - authentisch habsburgischen - Gemisch aus vier Sprachen die Zuschauer erreichen. Einige wenige, die vielleicht auf das Abfeiern böhmischer Folklore gehofft hatten, verließen wütend den Saal, die überwiegende Mehrzahl hat den Schlagabtausch zwischen Bühne und Zuschauerraum begeistert angenommen. Mehr kann ich dazu nicht sagen - außer, dass wir uns auf die bevorstehenden Vorstellungen und Gastspiele in Bremen, Prag und Berlin freuen.
APA: Sie sind nun ein wesentlicher Protagonist des Direktionsstarts von Anna Badora am Volkstheater Wien. Was hat Sie dazu bewogen, sich dort so zu engagieren - bzw. sich engagieren zu lassen?
Parizek: Die Konzeption eines Vielvölkertheaters für Wien spricht mich persönlich an. Das hat auch - aber nicht nur - mit meiner persönlichen Geschichte zu tun. Natürlich fühle ich mich als Mähre geschmeichelt, wenn ich dazu eingeladen werde, einer kulturinteressierten Wiener Öffentlichkeit den Spiegel vorzuhalten. Dabei kann es naturgemäß nicht nur um die gemeinsame österreichisch-tschechische Vergangenheit gehen: (nicht nur) die österreichische Gesellschaft hat sich in den letzten Jahren demographisch nachweislich verändert; Erwartungen, mit denen eine Stadt wie Wien dem Volkstheater begegnet, haben mit internationalen Migrationszusammenhängen, wirtschaftlichen Krisen und einem demographischen Wandel zu tun, der ganz Mitteleuropa betrifft. Und angesichts der jüngsten Entwicklung stehen uns allen noch viel größere Veränderungen und Aufgaben bevor.