Neu regieren im Alpenraum
Die Regionen werden auf europäischer Ebene sichtbarer, sagt Peter Bußjäger, Direktor des Instituts für Föderalismus in Innsbruck. Sie reagieren innerhalb eines neuen Rechtsrahmens mit.
Von Peter Bußjäger
Der Begriff Multi-Level-Governance hat den Aufstieg zum Modewort geschafft. Seine (unscharfe) deutsche Übersetzung „Regieren im Mehr- ebenensystem“ ist sperrig und klingt nicht besonders gut. Man versteht darunter ein koordiniertes, auf Partnerschaft beruhendes Vorgehen der EU, der Mitgliedstaaten, der Regionen und Gemeinden zur Ausarbeitung und Umsetzung von Strategien und Projekten. Hieraus ergibt sich, dass die Verantwortung von den betroffenen Entscheidungsebenen geteilt wird.
Altes und neues Regieren
Regieren über mehrere Ebenen ist kein neues Phänomen. Die Entwicklung des Völkerrechts, des Föderalismus, der internationalen Organisationen sind allesamt Erscheinungsformen eines schon sehr alten Regierens über mehrere Ebenen.
Dieses alte Regieren über mehrere Ebenen war Jahrzehnte hindurch davon geprägt, dass die Länder als Teile des Bundesstaates durch den Gesamtstaat repräsentiert waren. Es war das Verdienst auch der so genannten „Innsbrucker Schule“ des Öffentlichen Rechts, aufgezeigt zu haben, dass es auch Alternativen zur Bevormundung der Länder durch die zentralstaatliche Ebene in Österreich gab. Schon in den 1970er-Jahren wurde gerade in Innsbruck darüber nachgedacht, ob nicht auch die regionale Ebene eine eigenständige Außenpolitik führen dürfe, was im Konzept des alten Regierens undenkbar war. Die Gründung der ARGE ALP 1973 war eine erste Bresche in das Monopol des Bundes zur Führung einer Außenpolitik. Universität wirkt, könnte man sagen!
Die selbstbewusster gewordenen Länder erhielten in der Folge sogar die Möglichkeit, selbst Staatsverträge mit den benachbarten Staaten und Regionen Österreichs abzuschließen, wie dies auch den deutschen Ländern erlaubt war. Allerdings handelte es sich um eine typisch österreichische, halbherzige Lösung. Die Länder müssen nicht nur, was an sich nachvollziehbar wäre, die Zustimmung der Bundesregierung einholen. Der Abschluss des Staatsvertrages obliegt dem Bundespräsidenten. Und zu guter Letzt müssten die Länder ihre Staatsverträge auf Verlangen des Bundes kündigen.
Seit nunmehr fast 30 Jahren in der Bundesverfassung verankert, spielen die Länderstaatsverträge nach wie vor nicht die geringste praktische Rolle. Was ein Ausbruch aus dem alten Regieren sein sollte, ist gründlich misslungen. Es wundert nicht, dass in 30 Jahren kein Landespolitiker auch nur mit dem Gedanken gespielt hat, seine untergeordnete Rolle nach außen sichtbar zu machen. Es war auch nicht notwendig. In der Zwischenzeit ist ein Paradigmenwechsel eingetreten, der das alte Regieren durch ein neues nicht ersetzt, aber ergänzt hat. Seit dem Ende der 1980er können wir von einem neuen Regieren durch Vernetzung sprechen.
Sichtbares Zeichen des neuen Regierens sind die Regionenbüros, die in Brüssel eröffnet wurden und mehr oder weniger repräsentativ ausgestattete Einrichtungen sind. Es überrascht nicht, dass die Vertretungsbüros von der zentralstaatlichen Ebene regelmäßig kritisch beäugt wurden. Besonders wurde dies am Beispiel der gemeinsamen Büros der Regionen Tirol, Südtirol und Trentino unmittelbar nach 1995 sichtbar. Das Unternehmen wurde wie auch die Gründung der Europaregion Tirol — Südtirol — Trentino sowohl in Rom als auch in Wien skeptisch beurteilt. Gerade das Tiroler Büro ist ein leuchtendes Beispiel dafür, dass die Regionen auf der europäischen Ebene sichtbar geworden sind.
Neue Rechtsrahmen
Das neue Regieren hat vor nicht allzu langer Zeit einen neuen Rechtsrahmen erhalten. Der so genannte EVTZ (Europäischer Verbund territorialer Zusammenarbeit) bildet eine juristische Person des öffentlichen Rechts, die Staatsgrenzen überschreitet. Der EVTZ ist der gordische Hieb, der die zentralstaatlichen Verfassungsordnungen, was die grenzüberschreitende Zusammenarbeit betrifft, zumindest teilweise aushebelt.
Die EVTZ-Verordnung der Europäischen Union ist eine Erfolgsgeschichte: Der 2011 gegründete EVTZ Europaregion Tirol — Südtirol — Trentino war bereits der 21. in Europa. Die Europaregion ist auf diese Weise nicht mehr nur eine mehr oder weniger lose Vereinigung, sondern kann auch öffentliche Aufgaben wahrnehmen. Zwar dürfen klassische Polizeiaufgaben weiterhin nicht dem EVTZ übertragen werden, wie zum Beispiel das Asylwesen oder die Sicherheits- und Veranstaltungspolizei. Allerdings könnte er sehr wohl Aufgaben der Daseinsvorsorge wie Spitäler, Pflegeeinrichtungen usw. wahrnehmen. Vor allem aber bildet er eine hervorragende Plattform, damit sich die Länder Tirol, Südtirol und Trentino in ihrer Politik besser abstimmen.
Die Europäische Kommission hat am 28. Juli 2015 die makroregionale Alpenstrategie verabschiedet, demnächst wird sie im Ministerrat beschlossen werden. Sie ist eine typische Ausprägung von Multi-Level-Governance, weil sie auf einer funktionierenden Kooperation aller Entscheidungsebenen unter Einschluss der Zivilgesellschaft beruht.
Im Gegensatz zum klassischen Muster alten Regierens mit Rechtsvorschriften, die auf den übergeordneten Ebenen ausgearbeitet und von den nachgeordneten Ebenen vollzogen werden, beruht die Alpenstrategie auf der Gleichrangigkeit der Partner. Ohne die Kooperation vor allem der Länder wird sie nicht funktionieren. Umgekehrt ist aber auch derjenige, der nicht aktiv mitmacht, nicht wirklich dabei.
Das Ziel einer makroregionalen Strategie soll darin bestehen, neue Projekte und Initiativen zu mobilisieren. Die Makroregion umfasst nicht nur alle Staaten des Alpenraumes und damit auch Staaten, die der Union gar nicht angehören, nämlich Liechtenstein und die Schweiz, sondern vor allem auch die Länder und Regionen all dieser Staaten.
Der Aktionsplan der Europäischen Kommission sieht folgende drei Schwerpunktthemen vor:
gerechter Zugang zu Beschäftigungsmöglichkeiten unter Nutzung der hohen Wettbewerbsfähigkeit des Alpenraums;nachhaltige interne und externe Anbindung;integrativere ökologische Rahmenbedingungen und erneuerbare, zuverlässige Energielösungen für die Zukunft.Herausforderung
Ein viertes, bereichsübergreifendes Ziel ist der Aufbau eines Governance-Modells für den Alpenraum, das die Zusammenarbeit und Koordinierung von Aktionen verbessert. Damit ist gemeint, dass eine Struktur geschaffen werden soll, die eine effiziente Umsetzung der Projekte der Schwerpunktthemen garantiert.
Die Herausforderungen sind eine starke politische Führung, eine wirksame Entscheidungsfindung und eine gute Organisation. Es müssen also Entscheidungsstrukturen geschaffen werden, die einer derartigen gesamthaften Strategie angemessen sind und die gleichzeitig demokratisch legitimiert sind.
Gerade für die Europaregion bildet die Alpenstrategie eine große Chance. Die Europaregion ist nämlich bereits eine Kooperationsplattform, die in anderen Ländern erst in einem aufwändigen Prozess geschaffen werden muss.
Ohne Veränderung wird es aber auch in der Europaregion Tirol — Südtirol — Trentino nicht gehen: Es braucht mehr Transparenz der Entscheidungen und eine bessere Kommunikation gegenüber der Öffentlichkeit. Die Zivilgesellschaft muss sich einbringen können und ihre Vorschläge müssen von der Politik ernsthaft diskutiert werden.
Zur Person
Dr. Peter Bußjäger ist Professor am Institut für Öffentliches Recht an der Universität Innsbruck und Direktor des Instituts für Föderalismus.
institut@foederalismus.at