Budapest - Die Alltagshelden von der Flüchtlingsfront
Budapest (APA) - Zsuzsanna Bozo, Inhaberin eines schottischen Pubs in der Budapester Innenstadt, macht Inventur. Im Lager ihrer „The Caledon...
Budapest (APA) - Zsuzsanna Bozo, Inhaberin eines schottischen Pubs in der Budapester Innenstadt, macht Inventur. Im Lager ihrer „The Caledonia“ werden Kartons, Säcke, Koffer gezählt, gefüllt mit Spenden der Bevölkerung. „Diese Sachen waren für die Flüchtlinge bestimmt, die wir hier an den Budapester Bahnhöfen versorgt haben“, erklärt die 40-Jährige.
Doch nun seien keine Migranten mehr in Budapest, die Spenden würden in die Sammellager gebracht.
Während sich die Gäste des Pubs wundern, dass die rothaarige Chefin nun wieder öfter hinter der Theke steht, erzählt sie von ihren Erlebnissen mit den Migranten, bezeichnet Ungarn nicht als das Land der Einreise, sondern der Durchreise. „Keiner der Flüchtlinge will hier in Ungarn bleiben. Alle wollen weiter.“ In den Sammellagern seien nur ein paar Hundert Migranten, während täglich Tausende über die ungarische Südgrenze kämen. „Wir haben viele Kontakte zu Migranten, denen wir helfen konnten. Gerade heute kam ein SMS von dem Flüchtlingsmädchen Nehiba.“ Die Sechzehnjährige sei vor Wochen aus dem Sammellager Fot nahe Budapest verschwunden und nun gesund in Schweden angekommen.
Auch Kati Bukucs ist eine der Helferinnen vom Bahnhof. Täglich transportierte die Unternehmerin mit ihrem Kleinwagen Kleidung, Essen, Trinken aus dem Lager des Pubs zum Budapester Ost- und Westbahnhof. Oftmals bis zu 20 Stunden am Tag. „Es ging nicht anders, die Flüchtlinge waren sich doch völlig selber überlassen. Und meine Familie, die hat mich unterstützt.“ Auch heute belädt Kati ihr Auto mit Säcken, Koffern, Kartons, um diese Spenden in das Sammellager nach Fot zu bringen. „Wir haben bereits Hilfsgüter in viele ungarische Flüchtlingslager transportiert, etwa nach Bicske, Vamosszabadi, Debrecen.“ Doch auch Obdachlosenheime in Budapest würden bedacht. Inzwischen zeigt die zierliche Frau Handy-Fotos von Fatima aus Syrien, die sich gerade aus Deutschland meldete. Erzählt von einem Lehrer aus Österreich, der gemeinsam mit seiner Tochter Flüchtlinge vom Ostbahnhof nach Österreich transportierte. „Das war mutig, denn ein solches Handeln gilt als Straftat“, erinnert Bukucs.
Budapest als flüchtlingsfreie Zone ändert nichts an den Aktivitäten der beiden Frauen. Zsuzsanna und Kati fuhren nach Serbien, um dort Flüchtlingen zu helfen. Die Mittel dafür sicherten sie durch eine Sammelaktion, im Pub, im Stadtbezirk. „Es kamen innerhalb von zehn Tagen 18 Mio. Forint (57.401,62 Euro) zusammen, als Zeichen einer großen Solidarität.“ Leicht war es nicht, die serbische Grenze mit den Hilfsgütern - Zelten, Decken - zu passieren. Doch mit diplomatischer Hilfe gelang es.
Zsuzsanna erzählt von ihren Erfahrungen mit den Flüchtlingen. Von Familien mit kleinen Kindern, denen sie mit Kinderwagen, Windeln, Kleidung, Spielzeug helfen konnte. Sie verstünde den Wunsch dieser Menschen nach Sicherheit, Frieden. Wer sich mit Babys auf den weiten, gefährlichen Weg macht, den sollten Politiker nicht als Migranten-Touristen bezeichnen. Zsuzsanna erinnert zugleich an die Tausenden von Flüchtlingen, die wochenlang in der Unterführung des Ostbahnhofs geduldig ausharrten. „Wäre das Gleiche mit Ungarn passiert, hätte ich ihnen nicht einen Tag gegeben, und sie hätten sicher Mülltonnen angezündet und Polizisten beworfen.“
Auch der erste Marsch der Flüchtlinge vom Ostbahnhof am 4. September auf der Autobahn M1 in Richtung Österreich sei eine zurückhaltende Reaktion auf ihre aussichtslose Lage am Bahnhof gewesen. „Als wir das im Radio hörten, machten wir einen Aufruf auf Facebook. Es meldeten sich umgehend viele Budapester, kamen mit ihren Autos, bildeten mit uns zusammen einen langen Konvoi, der Mineralwasser, Essen, Decken, Zelte aus unserem Lager zu den Flüchtlingen transportierte. Diese befanden sich nahe einer Ausfahrt auf der Autobahn M1, wo sie im strömenden Regen saßen, lagen, standen.“
Als die ersten Busse ankamen, um die Flüchtlinge an die österreichische Grenze zu bringen, stieg zunächst keiner der Migranten ein. „Wir versuchten die Flüchtlinge zu überzeugen, doch in die Busse zu steigen. Doch sie hatten Angst, dass sie nicht nach Österreich, sondern in ein Sammellager transportiert würden. Der Polizei glaubten sie nicht. Doch als wir und andere freiwillige Helfer gemeinsam mit ihnen einstiegen, ihnen versicherten, dass sie nicht reingelegt werden, folgten sie unserer Bitte. Und wir fuhren mit ihnen zusammen an die Grenze.“ Eine Fahrt, die Zsuzsanna nie vergessen wird.
Zuszsanna und Kati unterhalten sich über diese schicksalhafte Nacht. „Wir kamen irgendwann am Nachmittag des nächsten Tages wieder in Budapest an, waren glücklich, dass es diese Flüchtlinge geschafft hatten“, erzählt Kati. Die Transitzone am Ostbahnhof, in der wochenlang Tausende von Migranten auf der nackten Erde gelebt hatten, sei nahezu leer gewesen. „Das kann man nicht als Leben bezeichnen. Dicht gedrängt in einer Unterführung, ohne sanitäre Anlagen und mit der ständigen Angst, was aus ihnen wird, aus ihren kranken Kindern und aus der Hoffnungen auf ein besseres Leben.“
Die beiden Frauen sitzen vor dem Pub in der Mozsar-Straße, werden von Passanten gegrüßt. Auf die Frage, wie es weitergeht, schauen sie sich lächelnd an und meinen, das Flüchtlingsproblem sei noch lange nicht gelöst.