Brasiliens tristes „El Dorado“
Brasilia (APA/dpa) - Die Avenida 22 de Maio ist eine trostlose Meile. Überall der gleiche Schriftzug: „Aluga-se“ - „zu Vermieten“. Sieben vo...
Brasilia (APA/dpa) - Die Avenida 22 de Maio ist eine trostlose Meile. Überall der gleiche Schriftzug: „Aluga-se“ - „zu Vermieten“. Sieben von zehn Hotels dicht. Große Werbetafeln mit feinen Apartments und schönen Pools zeugen davon, dass hier mal Großes geplant war. Das dachte auch Alexandre Palmier. Er kann nicht mehr lange durchhalten.
Itaboraí sollte mal so etwas wie das Wolfsburg Brasiliens werden. Eine florierende, von Managern und Ingenieuren hochfrequentierte Stadt, wo zuvor fast nichts war. Was sollte schon schiefgehen, wenn das Vorzeigeunternehmen Brasiliens, der Ölgigant Petrobras, ein Global Player, hier mit dem Complexo Petroquímico do Rio de Janeiro (Comperj) eine der größten Raffinerie Lateinamerikas bauen will - mit Zehntausenden neuen Arbeitsplätzen. Der damalige Präsident Luiz Inácio Lula da Silva versprach 2008, nach dem Zuschlag für Itaboraí, eine Art modernes El Dorado. Hier, 60 Kilometer nordöstlich der Copacabana.
Statt El Dorado ist Itaboraí heute eher ein trostloses Fantasma. Das Hoteltor öffnet sich: Rote Backstein-Häuschen sind zu sehen, links ein Pool. Modernste Konferenztechnik. Hier ist ein Vermögen investiert worden, es sieht fast ein wenig aus wie das Campo Bahia der deutschen Fußball-Nationalmannschaft bei der WM 2014. Alexandre Palmier hat das ganze Geld seiner Baufirma in die Anlage gesteckt, Rio den Rücken gekehrt. „Das ist alles mein Leben“, sagt er. Sein Blick: traurig.
Einige in grüne Uniformen gekleidete Mitarbeiter zupfen den Rasen, spritzen die Steinwege ab. Nur Gäste sind nicht zu sehen. Von 34 hat Palmier die Mitarbeiterzahl auf 13 gesenkt. „Das wird nicht reichen.“ Es gab ein Investitionsprogramm der Regierung, 54 Apartments baute er, dazu einen Tagungssaal. Einsam steht er im leeren Frühstücksraum.
„Die Stadt war ein großes Versprechen“, sagt Palmier. Und heute? Mit knapp 30 Prozent Auslastung lässt sich kein Hotel lange betreiben. Neben Kostenexplosionen wurden die hochfliegenden Comperj-Pläne vor allem durch den größten Korruptionsskandal der Geschichte Brasiliens geerdet. Im Zentrum: Petrobras. Baufirmen mussten Provisionen zahlen, wenn sie Großaufträge für Projekte wie Comperj bekommen wollten - und Politiker kassierten jahrelang bei überhöhten Abschlüssen mit. Der Fall zeigt was passieren kann, wenn ein Konzern im großen Stil gegen Regeln verstößt.
Dem Parlamentspräsidenten Eduardo Cunha wird die Annahme von fünf Millionen Dollar vorgeworfen, Staatspräsidentin Dilma Rousseff ist durch die Affäre schwer unter Druck, keine zehn Prozent Zustimmung genießt sie mehr im Volk. Wegen der Ermittlungen ruhen viele Bauarbeiten auf dem rund 45 Quadratkilometer großen Comperj-Gelände.
35.000 Menschen sollten hier mal arbeiten. Auf dem riesigen Parkplatz vor dem Areal herrscht gähnende Leere, das Sicherheitspersonal mahnt: Keine Fotos. Die örtliche Gewerkschaft Sintramon kümmert sich um die Tausenden Hoffnungs- und Arbeitslosen. Einige sitzen im Flur des Gewerkschaftshauses, warten auf Angebote. Bei über 40 Prozent liegt die Arbeitslosenquote laut Sintramon bereits. „Comperj sollte mal die ganze Region ernähren“, sagt Vizepräsident Marcos Aurelio Hartung. Aber wer soll etwas einkaufen in der Shopping Mall, wer die ganzen Wohnungen beziehen? Hartungs Kollege Rogério Assunção meint: „Comperj ist heute ein weißer Elefant.“ Will heißen: Eine Anlage zur Rohstoffverarbeitung, die so keiner mehr braucht. Zu groß, zu teuer.
Der niedrige Öl- und Gaspreis verschärft die Lage zusätzlich. Von mindestens 14,3 Milliarden Dollar (12,8 Mrd. Euro) Baukosten für Comperj ist inzwischen die Rede. Es wird wohl nur eine abgespeckte Variante geben. Petrobras ist noch das größte Unternehmen Brasiliens mit einem Jahresumsatz von bisher 140 Milliarden US-Dollar. Nun muss man durch den Verkauf von Geschäftsanteilen aber 13,7 Milliarden US-Dollar erlösen, um die Folgen der tiefen Korruptionskrise zu meistern.
Laut Petrobras sollte die erste Ölverarbeitung zur Produktion von Diesel und Kerosin im August 2016 starten, aber bisher waren alle Zeit- und Kostenpläne Makulatur. Wahrscheinlich wird erst einmal nur der Teil zur Produktion von Gas, zum Beispiel für Haushalte zum Kochen, fertiggestellt. Klar scheint nur: der versprochene Geldsegen für Itaboraí wird wohl eine Illusion bleiben. Schlechte Nachrichten für den auf betuchte Gäste wartenden Hotelier Alexandre Palmier.