Ein neuer weiblicher Faktor für Weißrusslands Politik

Minsk (APA) - Weißrusslands autoritärer Staatschef Alexander Lukaschenko dürfte am Sonntag zum vierten Mal in Folge die Präsidentenwahlen ge...

Minsk (APA) - Weißrusslands autoritärer Staatschef Alexander Lukaschenko dürfte am Sonntag zum vierten Mal in Folge die Präsidentenwahlen gewinnen. Offiziell hat er hat drei Mitbewerber, darunter die Oppositionelle Tatjana Korotkewitsch, die sich zuletzt durch scharfe öffentliche Kritik am Regime auszeichnete. Angesichts laufender Annäherungsversuche an die EU lässt sie die Staatsgewalt einstweilen gewähren.

Turbulente Szenen im Gymnasium Nr. 16 am Rande der weißrussischen Hauptstadt: Just in diese Schule für Sprösslinge der staatlichen Politelite, die in einem benachbarten Villenviertel residiert, hat die Korotkewitsch zu einer Wahlkampfveranstaltung geladen. Gekommen sind an diesem Freitagabend aber nicht nur ihre Fans, sondern auch deklarierte Anhänger des amtierenden Präsidenten.

Nahezu zwanghaft bringt etwa der als Hausherr fungierende Direktor des Gymnasiums seine Ablehnung gegen die 38-jährige Psychologin und ihre Politik zum Ausdruck, er pöbelt auch Anhänger der Politikerin an. Seine stellvertretende Direktorin empört sich zudem über eine grüne Hose und die Struwwelpeterfrisur des Moderators. Diese Atmosphäre erinnert bisweilen fatal an die letzten Jahre der Sowjetunion – auch damals war moralisierende Kritik an der Jugend üblich.

Kritiker im Saal werfen Korotkewitsch jedoch insbesondere vor, einen „Maidan“ provozieren zu wollen – die Angst vor einem „ukrainischen Szenario“ in Weißrussland, vor politischer Instabilität und gar Krieg, galt zuletzt als nahezu wahlentscheidendes Motiv.

Korotkewitsch, die der Weißrussischen Sozialdemokratischen Partei „Hramada“ angehört, widerspricht mit ruhiger Stimme: Nein, so betont sie, sie wolle keine Revolution und alle ihre Vorschläge resultierten aus dem gesunden Menschenverstand. Die Rede ist von eher sanften Wirtschaftsreformen bei gleichzeitiger Erhaltung des Sozialstaates. Ihr Wirtschaftsberater Sergej Tschaly hatte zuvor ein äußerst düsteres Bild der wirtschaftlichen Situation Weißrusslands gezeichnet.

„Ich sehe ein Belarus, in dem freie Menschen leben, die sich nicht fürchten, nicht fürchten, unternehmerisch tätig zu werden, nicht fürchten, ihren Arbeitgebern die Wahrheit zu sagen und sich auch mutig in den Universitäten äußern“, erklärt die Politikerin. Neben Russisch parliert sie als einzige Präsidentschaftskandidatin bei ihren Auftritten auch immer wieder Weißrussisch und möchte damit sichtlich eine national gesinnte und Russland-kritische Wählerschicht ansprechen. Zudem positioniert sie sich deutlich gegen aktuelle Kreml-Pläne, in Weißrussland eine russische Luftwaffenbasis zu errichten.

Bei ihren jüngeren und eher weiblichen Anhängern kommt ihre Rhetorik gut an. Sie sei heute gekommen, um sich davon zu überzeugen, dass Korotkewitsch weder ein Projekt von Lukaschenko noch des KGB sei, sagt eine junge Frau im Gymnasium. „Sie haben mich überzeugt! Danke für diesen Atemzug der Freiheit!“, erklärt sie.

Mit welchem Ergebnis die Kandidatin am Sonntag tatsächlich rechnen kann ist unklar. Laut einer Ende September veröffentlichten Umfrage des unabhängigen Meinungsforschungsinstituts NISEPI, das seinen Sitz im litauischen Exil hat, käme Korotkewitsch bei einer Wahlbeteiligung von 80 Prozent im September auf 22 Prozent der Stimmen. Lukaschenko würde demnach im ersten Wahlgang mit 56 Prozent der Stimmen gewinnen. Zahlreiche andere Vertreter der weißrussischen Opposition konnten oder wollten am aktuellen Wahlgang nicht teilnehmen.

Das sei das erste Mal in dieser Art passiert, kommentiert Korotkewitschs Wirtschaftsberater Tschaly nach der Veranstaltung im Gymnasium die turbulenten Szenen: „Das zeigt, dass die Machthabenden ernsthaft beginnen, eine Bedrohung durch unsere Kandidatin zu sehen“, erklärt er gegenüber der APA.

Dass die Regierenden auf diesen neuen weiblichen Faktor in der Innenpolitik reagieren, zeigt sich auch in einer Personalentscheidung. Sozialministerin Marianna Schtschotkina vertritt als Wahlkampfleiterin den amtierenden Präsidenten, der offiziell keinen Wahlkampf führt. Freilich kann sich der Kandidat Lukaschenko nicht über fehlende Medienpräsenz beklagen: Die landesweit dominierenden Staatsmedien berichteten zwar artig über seine Mitbewerber. Gleichzeitig lassen sie jedoch keinen Zweifel, dass sie auf der Seite des seit 1994 amtierenden Präsidenten stehen.

Auftritte von Schtschotkina fallen ruhiger als jener von Korotkewitsch aus. In einer Minsker Volksschule betonte sie Ende vergangener Woche vor einem eher älteren weiblichen Publikum die soziale Ader des amtierenden Präsidenten. „Alexander Grigorjewitsch (Lukaschenko, Anm.) gibt uns klare Anweisungen sicherzustellen, dass sich kein einziger Mensch in Weißrussland einsam fühlt“, sagte Schtschotkina und verwies auf ein Besuchsprogramm der Sozialämter. Widerspruch an der Politik Lukaschenkos gab es keinen, lediglich ein junger Mann stellte eine komplizierte Frage, die sich auf mögliche Verfassungsverletzung durch eine Gerichtsreform bezieht. Die Stimmung im Saal richtete sich gegen ihn. So es weitere Kritiker des Präsidenten im Saal gab, ließen es sich diese nicht anmerken.

Den zwei verbleibenden Kandidaten dieser Wahlen werden indes nicht einmal Außenseiterchancen zugeschrieben. Der ehemalige Militär Nikolaj Ulachowitsch gilt als Kuriosum – er tritt als Chef der weißrussischen Kosaken (Wehrbauern aus dem Süden Russlands, Anm.) auf, von deren Existenz bisher praktisch nichts bekannt war.

Der Rechtspopulist Sergej Gajdukewitsch von der Liberaldemokratischen Partei Weißrusslands ist landesweit bekannt – er kandidierte bereits 2001 und 2006 erfolglos bei den Präsidentschaftswahlen. Sein Wahlkampf fiel zuletzt eher lau aus und beschränkte sich in Minsk vor allem auf das Verteilen von Flugblättern. „Das ist ein Fake-Kandidat von Lukaschenko“, kommentierte gegenüber der APA ein Minsker. Gajdukewitsch selbst weist diesen Vorwurf zurück: „Das war sicher kein Anhänger von mir“, meinte er im Gespräch mit der APA.

(Alternative Schreibweisen Aleksandr, Aljaksandr Lukaschenka, Tazzjana Karatkewitsch, Sjarhej Tschaly, Marijana Schtschotkina, Mikalaj Ulachowitsch, Sjarhej Hajdukewitsc)