Medien zu Flüchtlingsberichten: „Kleine“, „Standard“, „Presse“
Wien (APA) - Die Berichterstattung über die Flüchtlingsthematik zählt für Österreich Medien zu den größten journalistischen Herausforderunge...
Wien (APA) - Die Berichterstattung über die Flüchtlingsthematik zählt für Österreich Medien zu den größten journalistischen Herausforderungen seit Jahren. Das Thema polarisiert die Medienkonsumenten. Die APA hat Chefredakteure von ORF und Printmedien zu ihrer Linie in der Flüchtlingsberichterstattung befragt.
Die Fragen:
1. Was sind die größten Herausforderungen in der Flüchtlingsberichterstattung?
2. Im Zusammenhang mit der Berichterstattung gibt es auch viel Kritik. Veröffentlichte Meinung und öffentliche Meinung lägen beim Thema Flüchtlinge weit auseinander, Mainstream-Medien berichteten nicht objektiv, sondern überwiegend positiv über Flüchtlinge und sparten negative Folgen aus. Was sagen Sie zu dieser Kritik und gibt es bei Ihnen inhaltlichen Vorgaben bzw. Linien zur Vorgangsweise in der Flüchtlingsberichterstattung?
3. Gibt es vonseiten Ihrer Seher/Leser Rückmeldungen zur Flüchtlingsberichterstattung? Sind diese positiv/zustimmend oder negativ/kritisch? Gibt es Abo-Abbestellungen?
Die Antworten:
Hubert Patterer, „Kleine Zeitung“:
1. Auch als Zeitung spüren wir, wie sehr dieses Thema polarisiert. Es polarisiert Familien, Belegschaften, die Gesellschaft und freilich auch die Leserschaft. Ich spüre ein großes, tiefes Misstrauen vieler Bürger dem Establishment gegenüber, und die Medien müssen extrem aufpassen, dass sich dieses Misstrauen nicht auch auf sie überträgt. Zu weiten Teilen ist das ja auch schon passiert. Viele Leute wenden sich ab und errichten sich im digitalen Kosmos der Foren ihre mediale Parallelwelt, mit allen Abgründen, die Anonymität und Enthemmung auslösen.
2. Die jüngsten Wahlen sind Beweis genug: Die Menschen misstrauen in zunehmendem Maße den Äußerungen und Beteuerungen der politisch Handelnden und sie misstrauen der affirmativen Spiegelung dieser Beteuerungen in den Medien. Sie erkennen mit Zorn, dass das, was ihnen erzählt und vermittelt wird mit dem, was sie erleben und empfinden, nicht mehr übereinstimmt. Daher weitet sich auch der Graben zwischen öffentlicher Meinung und veröffentlichter Meinung, besonders deutlich und schmerzhaft sichtbar im Biotop der Wiener Medien, hier vor allem der Boulevardzeitungen. Wir sind uns dieser Gefahr bewusst und versuchen, ihr in der täglichen Themensetzung reflektiert und besonnen zu begegnen. Anstelle von geglätteten und idealistischen Sichtweisen sind wir bemüht, die Problemfelder im Zusammenhang mit den Flüchtlingsströmen ruhig, sachlich und tabufrei zu thematisieren. So machten wir jüngst die Zeitung mit dem Schwerpunkt auf: „25 unkorrekt gestellte Fragen und der Versuch, ihnen korrekt und faktengetreu auf den Grund zu gehen“. Und unter dem Arbeitstitel „Reden wir ruhig“ standen einen Tag Verantwortungsträger aus den wichtigsten Lebensbereichen den Lesern für alle drängenden Fragen jeweils eine Stunde lang Rede und Antwort. Eine Initiative zur Versachlichung, Abkühlung und Wahrheitsfindung. Wir unterstützen zivilgesellschaftliches Engagement auf allen Ebenen, mahnen aber gleichzeitig vor einem illusionären Humanismus, der Maß und Mitte missachtet und sich die Frage erspart, was dem Land und den Menschen politisch, finanziell, sozial und kulturell zumutbar ist. Verzichtet man aus moralischem Überschwang darauf, gefährdet man meines Erachtens den Grundwasserspiegel an Hilfsbereitschaft und Empathie. In dieser dialektischen Spannung wollen wir die Zeitung halten. Sie ist Blattlinie.
3. Zu schaffen macht uns die tägliche Kuratierung der Foren zum Flüchtlingsthema. Hier sind wir Opfer der Polarisierung: Den einen sind wir zu repressiv, den anderen zu tolerant. Hier erhalten wir Liebesentzug von beiden Flanken. Er äußert sich in offener Kritik, aber noch nicht in nennenswerten Abbestellungen.
Alexandra Föderl-Schmid, „Der Standard“:
1. Seit Jahren ist für den „Standard“ die Berichterstattung rund um Asyl ein wichtiges Thema. Wir haben schon im April mit einer Serie begonnen: Menschen auf der Flucht, um Flüchtlingen ein Gesicht zu geben und ihre Geschichte zu erzählten. In der aktuellen Situation ist die größte Herausforderung, über einen langen Zeitraum Print und auch online über Liveticker über das Thema zu berichten. Wie bei den Helfern stoßen auch wir an Kapazitätsgrenzen, da die Berichterstattung nun schon seit Wochen auf Hochtouren läuft. Außerdem haben wir praktisch aus dem Stand am Wochenende 19./20. September eine Schwerpunktausgabe zu dem Thema gestemmt.
2. In der Schwerpunktausgabe „Auf der Flucht“ haben wir bewusst viele konkrete Hilfsprojekte vorgestellt, wie Menschen auf diese Herausforderungen reagieren und damit umgehen. Da auch uns immer wieder vorgeworfen wird, wir würden Fakten verschweigen, haben wir begonnen, Fragen, die herumschwirren, sachlich zu beantworten: In Form eines Faktenchecks. Die Behörden machen Recherchen allerdings nicht leicht, weil unterschiedliche Zahlen angegeben werden oder, wie zu den Kosten, erst gar keine Informationen offiziell preisgegeben werden. Damit haben sogenannte Geheimpapiere auch im österreichischen Journalismus Hochkonjunktur - und die FPÖ schlachtet diese Zahlen bereits auf Wahlkampfplakaten und in Inseraten aus.
3. Der überwiegende Teil ist positiv. Insbesondere zur Schwerpunktausgabe gab es viele zustimmende und bestätigende Rückmeldungen. Einzelne Abo-Abbestellungen gibt es mit der Begründung zu viel oder zu positiv. Aber ein einziger Kommentar, in dem Lehrer kritisiert werden, bringt weitaus mehr kritische Reaktionen.
Rainer Nowak, „Die Presse“:
1. Die Herausforderungen sind genau genommen nicht anderes als bei anderen Großereignissen - ob Krieg, Katastrophen oder wichtigen Wahlen: Es gilt, umfassend über ein hoch komplexes Thema zu berichten und zu analysieren. Dabei gilt wie bei allen Themen: Qualitätsjournalismus macht sich mit keiner Sache gemein, auch nicht mit einer guten. Wir berichten differenziert - und ja, auch kühl über menschliche dramatische Ereignisse.
2. Weder ist es unsere Aufgabe, die Welt zu verbessern - das sollen Politik und NGOs versuchen -, noch nur das zu schreiben, was die Mehrheit der Bevölkerung gerade denkt. Das ist Sache der Boulevardzeitung. Wir versuchen, die Realität abzubilden und die Informationen mit dem richtigen Kontext zu liefern. Aber noch einmal: Ich halte nichts von anwaltlichem Journalismus. Das ist nicht unser Job. Wir haben in den vergangenen Wochen versucht, zentrale Fragen, die die Bürger und unsere Leser stellen, auch zu beantworten: Ja, es sind mehr junge Männer als Mütter, die da kommen. Nein, sie sind nicht so gebildet wie viele erhoffen. Nein, es stimmt nicht, dass unter den Asylbewerbern in Österreich viele Personen sind, die sich als Syrer ausgeben und keine sind. Wir machen unseren Job: recherchieren, recherchieren. Und wir bringen sowohl Bilder von Familien als auch vom Ansturm Hunderter an den Grenzen. Und wir diskutieren über die Themen täglich intensiv und nicht selten emotional. Aber ich verstehe es als ganze zentrale Aufgabe der Presse, der Hysterie und Aufregung beider Seiten nüchtern und sachlich dagegenzuhalten.
3. Es stimmt, dass die überwiegende Anzahl der Leserbriefschreiber der Meinung ist, Politik und Medien würden dem Problem zu blauäugig und freundlich naiv begegnen. Wir haben einige wenige Abo-Abbestellungen mit Hinweis auf das Thema Flüchtlinge - für einen Leitartikel gab es etwa drei, zwei rechts, einer links. Zweien war ich zu freundlich mit den Flüchtlingen, einem zu feindlich. Eine Blattlinie zeichnet sich dadurch aus, dass sie nie bequem ist. Weder gegenüber den Kollegen auf der Wiener Journalisten-Blase noch den Lesern gegenüber.