Literaturnobelpreis - Jurorin: „Sie schenkt uns eine emotionale Welt“
Stockholm (APA/dpa) - Die Bücher von Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch erzählen eine „Geschichte der Gefühle“, sagt die neu...
Stockholm (APA/dpa) - Die Bücher von Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch erzählen eine „Geschichte der Gefühle“, sagt die neue Chefin der Schwedischen Akademie, Sara Danius. Im dpa-Interview findet die Ständige Sekretärin der Stockholmer Jury viele Gründe, wieso der Literaturnobelpreis für die Weißrussin hochverdient ist. Und erzählt, wie die 67-Jährige auf den Nobel-Anruf reagiert hat.
Frage: Ist es ein gutes Gefühl, dass Ihr erster Nobelpreis als Chefin der Schwedischen Akademie an eine Frau geht?
Antwort: Das war ein glücklicher Zufall, aber natürlich ist das Einzige, das wirklich zählt, wenn die Schwedische Akademie ihre Entscheidung trifft, literarische Qualität.
Frage: Was macht Alexijewitsch so besonders?
Antwort: Sie bietet uns eine literarische Chronik des Gefühlslebens von Individuen in der Sowjet- und Post-Sowjet-Zeit. An diesem Projekt arbeitet sie seit über 40 Jahren. Nun ist es ein Zyklus von Büchern, den sie „Die Stimmen der Utopie“ nennt. Was sie interessiert, sind nicht historische Ereignisse, sondern eine Geschichte der Gefühle. Sie schenkt uns eine emotionale Welt. (...) Als wäre das nicht genug, hat sie auch noch ein neues literarisches Genre entwickelt. Eines, das über journalistische Formate hinausgeht. Deshalb spricht sie über ihre Arbeiten als chorale Werke, als Sammlung von Stimmen.
Frage: Mit ihr geht der Preis zum ersten Mal an eine Journalistin.
Antwort: Ja, aber vielleicht sollte man daran erinnern, dass der Preis schon Anfang des 20. Jahrhunderts an den deutschen Historiker Theodor Mommsen ging. Er ging auch schon an Winston Churchill und ein paar andere Autoren von nicht-fiktionalen Werken. Es gab immer eine recht flexible Auffassung dessen, was Literatur heißt. Gleichzeitig ist es wichtig zu verstehen, dass Alexijewitsch die konventionellen journalistischen Formate übersteigt. Sie hält sich im Hintergrund. Das einzige, das sie wirklich interessiert, sind die Stimmen. Echte Stimmen von echten Menschen.
Frage: Wie hat Alexijewitsch auf den Preis reagiert?
Antwort: Ich habe sie angerufen, und da war diese Stimme am anderen Ende. Ich war nicht sicher, ob ich tatsächlich mit ihr selbst spreche, deshalb hat es eine Zeit lang gedauert, bis ich mich vorgestellt und realisiert hatte, dass sie die richtige Person war. Und als sie verstanden hat, wer ich bin und warum ich anrufe, sagte sie ein Wort: „fantastisch“.
Zur Person: Sara Danius (53) ist seit Juni 2015 Chefin der Schwedischen Akademie und Ständige Sekretärin der Nobelpreis-Jury. Die Professorin für Literaturwissenschaft an der Uni Stockholm hat sich nicht nur als Literaturkritikerin und Journalistin einen Namen gemacht. Die Stockholmerin hat auch Bücher über Kochen und Keramik geschrieben und als Croupière in einem Casino gearbeitet.