Deutscher Buchpreis - Inger-Maria Mahlke und ihr Historienroman

Frankfurt am Main (APA/dpa) - Mit dem historischen Roman „Wie ihr wollt“ über die kleinwüchsige Mary Grey im England des 16. Jahrhunderts wu...

Frankfurt am Main (APA/dpa) - Mit dem historischen Roman „Wie ihr wollt“ über die kleinwüchsige Mary Grey im England des 16. Jahrhunderts wurde ein ungewöhnliches Buch für die Shortlist des Deutschen Buchpreises nominiert. Inger-Maria Mahlke entwirft darin ein finsteres, bitterböses Gesellschaftsbild.

Inger-Maria Mahlke wurde 1977 in Hamburg geboren, wuchs in Lübeck auf und lebt in Berlin. Sie studierte dort Rechtswissenschaften an der Freien Universität und arbeitete am Lehrstuhl für Kriminologie. 2005 nahm sie an einer Werkstatt für Nachwuchsautoren mit Herta Müller teil. 2010 erschien Mahlkes Debüt-Roman „Silberfischchen“ über einen verschrobenen und misstrauischen Polizeipensionär, der eine in Not geratene Ausländerin bei sich aufnimmt. Im von Kritikern und Lesern gefeierten Roman „Rechnung offen“ (2013) kämpfen Menschen einer bunt zusammengewürfelten Hausgemeinschaft in Berlin zwischen wirtschaftlichem Niedergang, Drogenhandel und Altersdemenz um ihre Existenz.

Ihr neues Buch hätte Shakespeare sicher gefallen. Die Ähnlichkeit mit dem Titel seines Lustspiels „Was Ihr wollt“ impliziert großes Theater mit dramatischen Verwicklungen und selbstbewussten Frauenfiguren. So weit, so gut. Doch ist Mahlkes Roman „Wie ihr wollt“ alles andere als eine Komödie, ihr Humor ein bitterböser. Aus der Perspektive der modernen jungen Frau (Jahrgang 1977) setzt sie dem englischen Großmeister des geschliffenen Worts in ihrem Werk fragmentarische und grobe Sätze in einem Stoff seiner Zeit entgegen, dem 16. Jahrhundert.

Hauptperson ist die nicht nur historisch recht stiefmütterlich behandelte Mary Grey, eine Cousine von Königin Elizabeth I. und Schwester der glücklosen Jane Grey, die für neun Tage Königin und kurz danach kopflos war. Jene Mary Grey also, kleinwüchsig und der Überlieferung nach alles andere als eine Schönheit, hat es wegen ihrer äußerlichen Nachteile nicht leicht. Schwestern, Eltern wie auch die meisten Leute am Hof übersehen und ignorieren sie.

Und dann überrascht sie alle mit ihrer heimlichen Ehe, die eine Verbannung vom Hof zur Folge hat: Mary hatte ohne royale Erlaubnis geheiratet. Das junge Mädchen kommt kaum raus aus dem finsteren ungastlichen Asyl und vertreibt sich die Zeit mit dem Aufschreiben von Erinnerungen, die rund 20 Jahre zurückliegen und unter anderem wären: die noch ungeklärte Thronfolge nach dem Tod Heinrich VIII. („der gewichtige Onkel“), die kurze Regentschaft seines einzigen Sohnes Edward („der blasse Cousin“), die Intrigen um die Macht zwischen Schwester Jane, Mary („die liebe Cousine“) und Elizabeth („die nicht ganz so liebe Cousine“), die wechselnden und jeweils staatlich diktierten Konfessionen und ihre zahlreichen Opfer unter der Herrschaft Marys und anschließend Elizabeths, die Rolle „der schottischen Cousine“ Mary Stuart, ja und die familiären Verwicklungen und Verbindungen der Tudors, Greys, Suffolks, Seymours, Brandons und, und, und.

Dass die kleine Mary äußerst scharfsinnig ist, bleibt allen, nur dem Leser nicht verborgen. Ihre Aufzeichnungen strotzen vor Ironie - und bitterer Selbstironie. Sie, die das intrigante politische System besser durchschaut als mancher direkt Involvierte, erkennt schließlich, dass sie selbst ein Teil dessen ist, was sie für erstrebenswert hält. Besonders bissig sind ihre verbalen Balgereien mit ihrer Bediensteten Ellen, denn in dem Machtspiel zeigt sich der Konflikt zwischen Despotismus und Devotion besonders deutlich.

Die geschriebene Fiktion um die historisch authentischen Gestalten (außer Ellen) zeigt dem Leser die düstere Seite des elisabethanischen Zeitalters. Mottenzerfressene Wandteppiche, Ratten- und Mäusekot auf den Böden, stinkende, düstere oder auch zugige Räume zeugen von der Unbill jener Epoche, von der auch höher gestellte Persönlichkeiten nicht zwangsläufig verschont waren. Von den ins Fleisch schneidenden Korsetts oder Nackenschmerzen verursachenden schweren Hauben ganz zu schweigen. Nicht zuletzt sind Spermaflecken auf Kleidern auch Hinweise auf Notzucht und Missachtung der Frauen.

(S E R V I C E - Inger-Maria Mahlke: „Wie Ihr wollt“, Berlin Verlag, 272 S., 20,40 Euro)