Deutscher Buchpreis - Rolf Lappert und sein Familienroman

Frankfurt am Main (APA/dpa) - Der Schweizer Rolf Lappert ist mit seinem Familienroman „Über den Winter“ bereits zum zweiten Mal für den Deut...

Frankfurt am Main (APA/dpa) - Der Schweizer Rolf Lappert ist mit seinem Familienroman „Über den Winter“ bereits zum zweiten Mal für den Deutschen Buchpreis nominiert. Das erste Mal schaffte es der heute 56-Jährige 2008 mit seinem Roman „Nach Hause schwimmen“.

1958 in Zürich geboren, machte er nach der Schule zunächst eine Lehre zum Grafiker. Mit 20 Jahren begann er zu schreiben. Erst als Lappert 33 Jahre alt war, wurde sein erster Roman veröffentlicht, „Folgende Tage“. In den 1980er Jahren gründete Lappert mit einem Freund einen Jazzclub und bereiste die USA. Als der Club einige Jahre später bankrottging, widmete er sich wieder dem Schreiben: Ab 1996 verfasste er Drehbücher für eine Schweizer Sitcom. Sein Roman „Nach Hause schwimmen“ brachte ihm nicht nur den Schweizer Buchpreis ein, er schaffte es auch in die Shortlist des Deutschen Buchpreises. Lappert wohnte in Frankreich, Deutschland und zuletzt elf Jahre lang in Irland.

Für seinen unterkühlten Familienroman „Über den Winter“, erschienen im Hanser Verlag, ist er nun erneut für den Deutschen Buchpreis nominiert. Der Roman beginnt mit einem toten Flüchtlingsmädchen. Der durchaus erfolgreiche Künstler Lennard Salm entdeckt den Säugling, während er für sein aktuelles Projekt im italienischen Sand Treibgut von versunkenen Schlepperbooten aufsammelt, um es später in europäischer Erde zu vergraben. Der Fund zeigt eine bereits in den Knospen gestorbene Zukunft, ein Ende ohne Anfang. Von dieser grundlegenden Melancholie wird sich der Roman nicht mehr entfernen.

Auch Salms älteste Schwester im fernen Hamburg ist gestorben. Zur Beerdigung reist er in die Stadt seiner Kindheit, ein Wiedersehen mit den Verwandten gibt es erst am Grab - und alte Wunden reißen auf. „Ich habe die Hamburger Atmosphäre in diesem kalten Winter einzufangen versucht“, sagt Lappert im Interview des Bayerischen Rundfunks. Aber man merkt: Der norddeutsche Schnee und die zugefrorene Außenalster sind nichts gegen die Kälte in Salms Familie. „Ich finde, der winzige Kosmos einer Familie erzählt viel über eine ganze Gesellschaft, über ein ganzes Land“, sagt Lappert. Trotz der vielen Verwandten muss Salm aber ganz allein zu sich selbst finden.

Im Gegensatz zum rasanten Vorgänger, dem sommerlichen Coming-of-Age-Kammerspiel „Pampa Blues“, legt der Schweizer Autor diesmal einen eisigen Filter über seine Geschichte. „Über den Winter“ ist ein Buch in Zeitlupe, Salm ein Gescheiterter in der Midlife-Crisis, ein Neuanfänger und Rückkehrer. Es sind vor allem Lapperts äußerst fein beschriebene Figuren, die den Roman tragen.

Da ist zum einen der Protagonist, ein knapp 50-jähriger Egoist, „mit weniger Freunden als Fingern“, wie er sich einmal beschreibt, „ein kreativer Allesmacher und Nichtskönner, ein Blender“. Oder Salms Vater, dessen Welt „so groß wie diese Küche war und ihm völlig genügte“ - ein wunderbarer Charakter. Zauberhaft ist auch Salms Schwester Bille, seine engste Vertraute und „Meisterin im Aufhellen, im Schönreden, im Verdrängen“. Eine Figur, die es liebte, „aus einem unbeschwerten Moment einen perfekten Tag zu machen, aus einem guten Sommer eine glückliche Kindheit“. Vielleicht ist Bille der Funken Licht im sonst so tristen „Über den Winter“.

Lapperts Romane entstehen, wie er sagt, aus zahllosen Anekdoten, Charakteren, Schauplätzen, Szenen und Dialogen. „Irgendwann habe ich dann tausend Mosaiksteinchen und mache mich daran, die passende Erzählweise, den Stil, den Rhythmus, also die Sprache zu finden, um daraus eine Geschichte zu machen.“ Er selbst arbeitete anfangs als bildender Künstler, bevor er übers Lesen zum Schreiben kam. Außerdem war er Jazz-Club-Besitzer, Sitcom-Autor, Kino-Betreiber, Weltreisender. „Was ich brauche ist ein ruhiges Zimmer, einen Schreibtisch, einen Stuhl und eine Steckdose“, sagt Lappert. „Dann kann ich überall auf der Welt schreiben.“ Hat er auch. Doch seit 2011 lebt er wieder im Schweizer Kanton Aargau, nahe bei seinen Eltern.

(S E R V I C E - Rolf Lappert: „Über den Winter“. Hanser Verlag, 384 S., 23,60 Euro)