Deutscher Buchpreis - Ulrich Peltzer und sein Text-Mobile
Frankfurt am Main (APA/dpa) - Ulrich Peltzer will gesellschaftliche Wirklichkeit nicht abbilden, sondern in den Protagonisten seiner Bücher ...
Frankfurt am Main (APA/dpa) - Ulrich Peltzer will gesellschaftliche Wirklichkeit nicht abbilden, sondern in den Protagonisten seiner Bücher einen Resonanzraum dafür schaffen. Mit „Das bessere Leben“ hat er einen faszinierenden Gegenwartsroman vorgelegt, der ohne herkömmliche Chronologie auskommt, keine runde Geschichte erzählt, sondern aus lauter mehr oder weniger verknüpften Fragmenten besteht. Ein Text wie ein Mobile.
Am 12. Dezember 1956 in Krefeld geboren, interessierte sich Peltzer bereits als Jugendlicher für politische Theorie. Der Kaufmannssohn mit einem liberalen, politisch eher linken Elternhaus ging 1975 zum Studium der Philosophie und Psychologie nach Berlin. Dort lebt er nach wie vor.
Nach seinem Studium arbeitete der undogmatische Linke am Institut für forensische Psychiatrie und als Filmvorführer im Kino. Sein Debüt „Die Sünden der Faulheit“ erschien 1987. Es folgten unter anderem „Stefan Martinez“ (1995), „Bryant Park“ (2002), „Teil der Lösung“ (2007) sowie die Frankfurter Poetikvorlesungen „Angefangen wird mittendrin“ (2011). Sein Werk wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, unter anderem dem Marieluise Fleißer-Preis (2015), dem Heinrich-Böll-Preis (2011) und dem Berliner Literaturpreis (2008).
„Das bessere Leben“ entwirft eine großes Gegenwartspanorama der Sprünge und Zufälle, das einen enormen Sog entwickelt. Ein Mann, Mitte 50, allein in einem Hotelzimmer in der tosenden brasilianischen Metropole Sao Paulo. Er schreckt hoch aus Albträumen, eine Demo auf einem Uni-Campus, USA 1970. Schüsse fallen. Damals war er jung und verliebt in ein Mädchen. Die Gegenwart dagegen scheint bleiern zu sein, „lange Tage im Chaos der Stadt und zerrissene Nächte“.
Zentrale Figur in diesem flirrenden Prosa-Panorama ist Jochen Brockmann, Anfang 50. Der Sales Manager lebt in Turin, geschieden, eine erwachsene Tochter. Der Mann hat viel Geld verdient, einiges in die Schweiz aufs Nummernkonto gebracht, aber jetzt hakt es. Die italienische Firma, für die er arbeitet, soll verkauft werden. Brockmann gerät ins Schlingern, aber dann verliebt er sich in Angelika Volkhart, ehemalige DDR-Bürgerin, jetzt leitende Angestellte in einer Reederei in Amsterdam. Und die Prioritäten verschieben sich.
Ein irrer Zufall führt beide in einem indonesischen Restaurant zusammen, oder hatte da ein Dritter seine Finger im Spiel? Das wäre dann Sylvester Lee Fleming, britischer Staatsbürger, global tätig, ein Spieler und Dealer. Der Mann mit den Albträumen und dem Namen wie aus einem Hollywoodfilm. Als Student hat er Drogen vertickt, jetzt verkauft er dubiose Versicherungen, und definitiv umgibt ihn etwas Diabolisches. Peltzer zitiert den alten Stones-Song „Sympathy For The Devil“.
Wir Leser tauchen ein in den Bewusstseinsstrom dieser drei Protagonisten, um die herum Freunde, Schulkameraden, Geschwister, Eltern, Ex-Frauen und Kinder kreisen. Sie tragen - wie wir alle - ihre Vergangenheit wie ein uneingelöstes Versprechen mit sich herum. Die Hoffnungen von damals, die großen Utopien, die längst geplatzt sind. Manchmal sind es dann auch zu viele Figuren, ein Kapitel führt zurück nach Moskau 1936, Grabenkämpfe unter Kommunisten, deutschen Exilanten, denen die Auslöschung droht. Die Verbindung in diese hochpolitische Sphäre hinein ist schon sehr konstruiert.
Peltzer hat viel reingepackt in seinen Roman: Studentenunruhen in den USA, Verkaufsverhandlungen unter Managern, Kinofilme und Kaufoptionen, Kiffen auf dem Schulhof und Geschäftsessen mit reichlich Alkohol. Und wofür die ganze Plackerei, fragt sich Brockmann manchmal. Seit dem Studium sammelt er Zeichnungen von Gegenwartskünstlern, Hockney, Beuys oder Lassnig. Die Kunst bildet für ihn so etwas wie einen utopischen Fluchtpunkt, weil sie zweckfrei ist, „eine göttliche Gabe“, wie Brockmann es empfindet. Den Widerspruch, das er sich diese Kunst nur leisten kann, weil er vom entfesselten Kapitalismus blendend profitiert, hält Peltzers Roman locker aus.
(S E R V I C E - Ulrich Peltzer: „Das bessere Leben“, S. Fischer Verlag, 446 S., 23,60 Euro)