Flüchtlingskrise - Bayern ist das Deutschland Europas

Berlin/München (APA/Reuters) - Bayern spielt innerhalb Deutschlands im Grunde die gleiche Rolle wie die Bundesrepublik in der EU - der Erfol...

Berlin/München (APA/Reuters) - Bayern spielt innerhalb Deutschlands im Grunde die gleiche Rolle wie die Bundesrepublik in der EU - der Erfolg und das Beharren auf die Bedeutung der eigenen Anliegen macht nicht nur Freunde. Nach der Ankündigung von Ministerpräsident Horst Seehofer, den Zustrom von Flüchtlingen in sein Bundesland durch „Notmaßnahmen“ begrenzen zu wollen, hagelte es jedenfalls harsche Kritik.

„Herr Seehofer ist nicht König Ludwig II. und wir sind nicht Neuschwanstein, wo man die Zugbrücke hochziehen kann“, stichelte etwa SPD-Parteivize Ralf Stegner in der ARD. Auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker wandte sich in Passau gegen die Errichtung neuer Mauern innerhalb Europas. Und die österreichische Regierung befürchtet im Falle der Abweisung von Migranten gar Ausschreitungen im Grenzgebiet.

Das finanzstarke Bayern hat in Deutschland vor allem durch seine Eigeninteressen Ärger auf sich gezogen. Projekte wie die Pkw-Maut oder das Betreuungsgeld sind besondere Anliegen der CSU gewesen, die die Christsozialen mit erheblicher politischer Gewalt in den Koalitionsverhandlungen auf die Agenda setzten. Vielen in der SPD und sogar der CDU ist zudem ein Dorn im Auge, wieso Seehofer als einziger Ministerpräsident bei Koalitionsausschüssen dabei ist - und dabei nach eigenem Eingeständnis natürlich immer auch bayrische Interessen vertritt. „Das ergibt auf Dauer eine gewisse Unwucht in Deutschland“, bekrittelt ein führender nordrhein-westfälischer Unionspolitiker. Mit Ärger wurde etwa vermerkt, dass Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) einen überproportionalen Teil des zusätzliches Geldes für Projekte nach Bayern vergab.

Allerdings: Bayern verhalte sich in vielen Punkten einfach geschickter, wird auch außerhalb der CSU eingeräumt. So liegen im Münchner Verkehrsministerium anders als in den meisten anderen Bundesländern genug Vorplanungen für Verkehrsprojekte vor, die dann auch gefördert werden können. Die Wirtschaft im Freistaat strotzt vor Stärke. Das Landesbudget verzeichnet jährliche Überschüsse, 2030 will das Land sogar sämtliche Schulden getilgt haben. Davon können die meisten anderen Länder nur träumen, sie häufen sogar mehr Schulden an. Der Freistaat entfernt sich finanziell immer weiter von den anderen deutschen Bundesländern. Gegen den Bund-Länder-Finanzausgleich klagen die Bayern, weil sie ihn mittlerweile zum Großteil finanzieren.

Dieser Erfolg macht aber auch einsam. Seehofers zumindest verbale „Bayern zuerst“-Haltung hat im Rest der Republik Spuren hinterlassen. Und die harte Linie beim Thema Finanzen gegen die Mehrheit der Nehmer fördert nicht unbedingt die gute Stimmung bei SPD- oder CDU-geführten Bundesländern. Beim Flüchtlingsthema scheint sich dies nun zu rächen. Hauptgegner Münchens in der Auseinandersetzung zwischen den Ländern um eine faire Verteilung der Flüchtlinge ist aber nicht etwa das rot-grün regierte Nordrhein-Westfalen, sondern es sind vor allem Niedersachsen und Schleswig-Holstein - die aus bayrischer Sicht die Drückeberger in der Flüchtlingskrise sind.

Mit der rot-grünen Regierung in Hannover hadert man in München wegen der Energiewende ohnehin seit langem. Weil Bayern bei dem für den Norden so wichtigen Trassenbau lange zögerte, reagierte Hannover mit einem ungewöhnlichen Schritt: Im Frühsommer forderte Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) bayrische Unternehmen in einer Anzeige in der „Süddeutschen Zeitung“ auf, ihre Firmen nach Norddeutschland zu verlagern. Die CSU schrie „foul“. Jetzt kommt der Ball wieder zurück ins Feld der Münchner.

Deutschland hat in den vergangenen Jahren ähnlichen Unmut in der EU auf sich gezogen, wenn es bei bestimmten Themen vorgeprescht ist - und sich bei anderen betont zurückhielt. So war man in Brüssel wenig glücklich über den Alleingang der deutschen Regierung bei der Energiewende 2011. Neue Nahrung erhält die Kritik an deutschen Eigeninteressen in Brüssel durch die Abgasaffäre bei Volkswagen: Denn viele EU-Abgeordnete und Verantwortliche in der EU-Kommission haben nicht vergessen, wie vehement die deutsche Regierung vor zwei Jahren auf mildere Vorgaben beim CO2-Ausstoß von Autos beharrte.

Und während der Euro- und Schuldenkrise haben wechselnde deutsche Regierungen mit dem Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts oder die Mitwirkungsrechte des Bundestages immer wieder erklärt, warum sie bestimmte Schritte nicht mitgehen können. Vor allem in der Schlussphase des jüngsten Schuldenstreits mit Griechenland sorgte die harte Verhandlungsposition der deutschen Regierung im Sommer in Brüssel für Irritationen.

In der Flüchtlingskrise zog die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel schließlich den Unmut auf sich, als sie sich weigerte, die Grenzen für Flüchtlinge zu schließen. Damit lud sich nicht nur nach Ansicht Seehofers, sondern auch in den Augen osteuropäischer Staaten viele Migranten erst ein, sich Richtung Deutschland aufzumachen. Dass die Regierung in Berlin gemeinsam mit der EU-Kommission und anderen Staaten eine verbindliche Verteilungsquote für Flüchtlinge durchsetzen will, wird von manchen EU-Partnern zudem als Diktat empfunden. So etwas sei man zur Zeit der sowjetischen Herrschaft eher aus Moskau gewöhnt gewesen, klagt etwa ein osteuropäischer EU-Diplomat. Der Einsatz für eine verbindliche Quote ist ohnehin ein zweischneidiges Schwert, denn die deutsche Regierung setzt sich dafür erst ein, seitdem sie selbst massiv betroffen ist: Als Italien vor Jahren in der Lampedusa-Krise um Hilfe rief und genau dies forderte, reagierte Berlin schroff mit Ablehnung.

Dass in der deutschen Innenpolitik jetzt Alarm geschlagen wird, registrieren manche deshalb mit Genugtuung. „Schon in der EU schauen viele eher mit einer gewissen Schadenfreude zu, dass nun einmal das starke Deutschland Probleme hat“, merkte ein Bundesminister vor wenigen Tagen etwas bitter an. Bereits Anfang September hatte Innenminister Thomas de Maiziere mit schonungsloser Offenheit gesagt: „Wenn die anderen sich nicht bewegen, ist es gut für die und schlecht für Deutschland.“