Tunesische Demokratie-Bewegung erhält Friedensnobelpreis
Oslo (APA/Reuters/dpa/AFP) - Der Friedensnobelpreis geht in diesem Jahr nach Tunesien. Das Nobel-Komitee vergab die renommierte Auszeichnung...
Oslo (APA/Reuters/dpa/AFP) - Der Friedensnobelpreis geht in diesem Jahr nach Tunesien. Das Nobel-Komitee vergab die renommierte Auszeichnung am Freitag an ein „Quartett für den nationalen Dialog“ aus vier Verbänden, das in dem nordafrikanischen Land die Demokratisierung vorangebracht hat: den Gewerkschaftsverband (UGTT), den Arbeitgeberverband (UTICA), die Menschenrechtsliga (LTDH) und die Anwaltskammer.
Mit dem Nobelpreis, so die Begründung der Jury, soll der Demokratisierungsprozess weiter unterstützt werden. Tunesien gilt trotz einiger Rückschläge immer noch als Musterland des Arabischen Frühlings. Der langjährige Diktator Zine el Abidine Ben Ali war im Jänner 2011 gestürzt worden, was auch Auslöser für Demokratiebewegungen in anderen Staaten war. Inzwischen gibt es in Tunis eine zivile Regierung.
Der Preis solle vor allem ein Ansporn für das tunesische Volk sein, das trotz großer Herausforderungen die Grundlage für eine nationale Brüderlichkeit gelegt habe. Dies könne ein Vorbild für andere Länder sein, hieß es in der Begründung des Komitees. Das Dialog-Quartett hatte sich 2013 gebildet, als der Prozess der Demokratisierung infolge sozialer Unruhen und Mordanschläge zu scheitern drohte. Das Quartett habe als Vermittler und Triebkraft für die friedliche demokratische Entwicklung in Tunesien gewirkt, erklärte das Nobel-Komitee.
Die Entscheidung des Nobel-Komitees ist auch für viele Experten eine Überraschung. Zu den Favoriten hatte dieses Jahr auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel wegen ihres Engagements in der Flüchtlingskrise gehört. Merkel bezeichnete die Preisvergabe an die Tunesier als „ausgezeichnete Entscheidung“. Die Kanzlerin habe „großen Respekt vor der Leistung der Preisträger“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Deutschland werde dem „neuen Tunesien“ zur Seite stehen.
Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini erklärte, das Beispiel der Tunesier zeige den Weg aus der aktuellen Krise in der Region. Frankreichs Präsident Francois Hollande wertete den Friedensnobelpreis auch als Unterstützung Tunesiens im Kampf gegen den Terrorismus. Der Wandel zur Demokratie in Tunesien sei noch nicht abgeschlossen, sagte Hollande am Freitag in Paris. Hollande forderte weitere Schritte: „Europa und die Welt dürfen nicht einfach einen Preis vergeben, sondern müssen sich auf Unterstützung verständigen, die Tunesien gegeben werden muss.“ Dem Land müsse ein erfolgreicher Übergang zur Demokratie ermöglicht werden.
Mit der Jasminrevolution in Tunesien 2010/2011 begann der sogenannte Arabische Frühling. Die Bewegung führte zum Sturz mehrerer arabischer Regime, konnte aber die großen Hoffnungen auf Freiheit nicht erfüllen. Als einziges arabisches Land brachte Tunesien seine Demokratisierung voran. Dazu trug die Bereitschaft der Islamistenpartei Ennahda bei, nach einem ersten Wahlsieg die Macht wieder abzugeben.
Das stark von Europa beeinflusste kleine Urlaubsland am Mittelmeer geriet damit aber ins Visier militanter Islamisten. Anfang 2014 trat eine neue Verfassung in Kraft. Zum Jahresende wurde Beji Caid Essebsi zum Präsidenten gewählt. Der parteilose Ökonom Habib Essid ist seit Februar Regierungschef. Die massiven wirtschaftlichen und sozialen Probleme sind aber nicht gelöst. Mehr als 15 Prozent der elf Millionen Tunesier sind arbeitslos.
Hinzu kommen der inländische Terrorismus und eine militärische Bedrohung durch islamistische Milizen, die von Libyen oder Algerien aus operieren. Ende Juni wurde Tunesien von einem blutigen Attentat erschüttert. Ein Islamist tötete in einer Hotelanlage des Badeorts Sousse 38 Urlauber, bevor er selbst erschossen wurde.
Der Friedensnobelpreis ist mit 8 Millionen schwedischen Kronen (etwa 850.000 Euro) dotiert. Verliehen wird er am 10. Dezember, dem Todestag des Preisstifters und Dynamit-Erfinders Alfred Nobel, in Oslo. Im vergangenen Jahr hatten sich die Kinderrechts-Aktivisten Malala Yousafzai aus Pakistan und Kailash Satyarthi aus Indien den Nobelpreis geteilt.