Deutscher Vizekanzler warnt CSU vor Panikmache in Flüchtlingskrise
Berlin/München/Wien (APA/Reuters/dpa) - Der deutsche Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel verlangt nach den Drohungen aus Bayern in der Flücht...
Berlin/München/Wien (APA/Reuters/dpa) - Der deutsche Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel verlangt nach den Drohungen aus Bayern in der Flüchtlingskrise mehr Sachlichkeit. Der SPD-Chef sagte der „Bild“-Zeitung (Samstag), es helfe weder Gesundbeten noch Panik- und Angstmache. „Und schon gar keine starken Sprüche wie aus der CSU.“
Am Freitag hatte der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Horst Seehofer gedroht, Flüchtlinge an der Grenze zu Österreich zurückzuweisen. Bayern behält sich auch eine Klage vor dem deutschen Bundesverfassungsgericht vor, sollte der Bund nicht bald wirksame Maßnahmen ergreifen, um den Zuzug von Asylwerbern zu begrenzen.
Am Samstag warf Seehofer Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel in der Flüchtlingskrise eine „Kapitulation des Rechtsstaats“ vor. Mit dieser Formulierung kritisierte er in Erding Merkels Äußerung, dass sich die EU-Außengrenzen nicht effektiv schützen ließen. „Einfach zu sagen, in unserer Zeit lassen sich 3.000 Kilometer Grenze nicht mehr schützen, ist eine Kapitulation des Rechtsstaats vor der Realität“, sagte Seehofer, ohne die Kanzlerin beim Namen zu nennen. Bayern sei nicht „gegen Zuwanderung, sondern für eine Zuwanderungsbegrenzung“. Problematisch sei die „Zahl der Zuwanderer und das Tempo“. Seehofer betonte gleichzeitig seine Wertschätzung für Merkel.
Gabriel mahnte in Mannheim auf dem Parteitag der baden-württembergischen SPD, Flüchtlinge und deutsche Bevölkerung dürften nicht gegeneinander ausgespielt werden. „Wenn wir jetzt Wohnungsbau machen, dann bitte nicht Flüchtlingswohnungsbau, sondern Wohnungsbau für alle, die in Deutschland bezahlbaren Wohnraum suchen.“ Zugleich warnte er vor Leistungskürzungen und Verzicht auf nötige soziale und bildungspolitische Initiativen.
In der „Bild“-Zeitung sagte Gabriel, es gebe keine Zugbrücke, die man vor Deutschland hoch ziehen könne. „Und Soldaten mit aufgepflanztem Bajonett wird selbst die CSU nicht an den Grenzen aufmarschieren lassen, um Flüchtlinge abzuwehren.“ Sinkende Flüchtlingszahlen seien erst dann zu erreichen, wenn die Ursachen der Flucht beseitigt würden und es zu einem Waffenstillstand in Syrien komme. „Bis dahin müssen wir die Nachbarländer Syriens - Jordanien, Libanon und die Türkei - so stark unterstützen, dass die Flüchtlinge sich gar nicht erst auf den Weg machen müssen, sondern nahe ihrer Heimat bleiben können.“
Um diesen Ländern bei der Versorgung der Flüchtlinge zu helfen, forderte der Präsident des Europäischen Parlamentes, Martin Schulz, mehr Mittel im EU-Haushalt. „Wir brauchen dringend Geld, um Jordanien, den Libanon und die Türkei in der Flüchtlingskrise zu unterstützen, denn diese Länder haben Millionen Flüchtlinge aufgenommen“, sagte der deutsche Sozialdemokrat dem „Tagesspiegel am Sonntag“. Zu diesem Zweck könnten bei der anstehenden Revision des Sieben-Jahres-Etats der EU im kommenden Jahr Mittel umgeschichtet werden.
Der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Volker Kauder (CDU) wies Forderungen aus der Union nach einem zeitweisen Aufnahmestopp für Flüchtlinge deutlich zurück. „Es muss klar sein, dass das, was wir vorschlagen, auch machbar ist“, sagte Kauder am Samstag bei einer Veranstaltung der baden-württembergischen Jungen Union (JU). Weder Zäune noch eine Sicherung der Grenze durch Polizei und Bundeswehr seien eine Lösung: „Keine Stunde würde es die Mehrzahl der deutschen Bevölkerung aushalten, wenn Bilder kämen, wie Soldaten mit Knüppeln auf Frauen einschlagen, die mit ihren Kindern über die Grenze wollen.“ Stattdessen verwies Kauder auf das geplante Asyl-Gesetzespaket, über das der Bundestag Anfang Oktober beraten hatte. „Wer ein Bleiberecht hat, dem geben wir eine Perspektive. Das ist die erste Maßnahme.“ Er betonte aber auch: „Diejenigen, die kein Bleiberecht haben, die müssen schnellstmöglichst dieses Land auch wieder verlassen. Das muss die Botschaft sein.“
Ähnlich argumentierte CDU-Vize Thomas Strobl: Man müsse eher dort ansetzen, wo „Fehlanreize“ für Flüchtlinge bestünden. Dies werde in dem geplanten Gesetzespaket konsequent aufgearbeitet. „Bei uns muss keiner Linsen und Spätzle essen, wenn er es nicht mag“, sagte Strobl. „Aber ein paar Regeln gibt es bei uns schon zu beachten. Das fordern wir ein.“ So müsse beispielsweise klar sein, dass Meinungsfreiheit und Religionsfreiheit in Deutschland gelten. Zuvor hatte der JU-Landesvorsitzende Nikolas Löbel für einen vorläufigen Aufnahmestopp für Asylsuchende ausgesprochen. „Wir haben unsere Kapazitätsgrenze schon längst überschritten“, sagte er. 50 Prozent seien ohnehin Wirtschaftsflüchtlinge.
Einen Zeitungsbericht über einen möglichen EU-Flüchtlings-Abgabe wiesen die deutsche Regierung und die EU-Kommission zurück. „Es bleibt dabei: Weder wollen wir Steuererhöhungen in Deutschland, noch wollen wir die Einführung einer EU-Steuer“, erklärte in Berlin Regierungssprecher Steffen Seibert. Die „Süddeutsche Zeitung“ hatte ohne Angabe von Quellen berichtet, derzeit würden informelle Gespräche zur Einführung einer Art europäischem Flüchtlings-Solidaritätszuschlag geführt. Dieser könne über einen Aufschlag auf die Mineralölsteuer oder die Mehrwertsteuer erfolgen. Die Einnahmen könnten direkt an den EU-Haushalt überwiesen werden. Die EU-Kommission erklärte in Brüssel, ein solcher Vorschlag liege derzeit nicht auf dem Tisch.