Flüchtlinge - Burgtheater-Matinee: Appelle an humanitären Grundwerte
Wien (APA) - „Wie kann ein Mensch illegal sein?“ Diese von Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel aufgeworfene Frage hat heute, Sonntag, das W...
Wien (APA) - „Wie kann ein Mensch illegal sein?“ Diese von Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel aufgeworfene Frage hat heute, Sonntag, das Wiener Burgtheater als Titel seiner Jubiläumsfeier zu „60 Jahre Wiedereröffnung nach dem 2. Weltkrieg“ genommen. Statt eines historischen Rückblicks wählte man aus diesem Anlass eine Auseinandersetzung mit der Gegenwart und veranstaltete eine Benefizmatinee für Flüchtlinge.
Am 14. Oktober 1955 war das im 2. Weltkrieg erheblich beschädigte Burgtheater feierlich wiedereröffnet worden. Bei einem Festakt anlässlich des 50. Jahrestages 2005 hielt Navid Kermani eine Rede mit dem Titel „Nach Europa“, in der er sich mit Fluchtbewegungen einst und heute auseinandersetzte. Heute gelte es „mehr denn je, an ein Europa der gemeinsamen und unteilbaren humanitären Werte zu appellieren“, wurde auf dem Programmzettel die Intention der heutigen Veranstaltung, deren Reinerlös der Flüchtlingshilfe der Caritas gewidmet war, beschrieben. Am Tag der Wiener Gemeinderatswahlen bekundete das Burgtheater: „Wir wählen Mitmenschlichkeit.“
Zentraler Beitrag des eineinhalbstündigen Programms auf der großen Bühne, an das sich bis in den Nachmittag hinein eine Lesung aus Jenny Erpenbecks Roman „Gehen, ging, gegangen“ im Großen Pausenfoyer bzw. einer Vielzahl von Texten unter dem Sammeltitel „Nach Europa“ im Vestibül anschlossen, war eine Rede des österreichischen Vorsitzenden des deutschen PEN, Josef Haslinger.
Ausgehend von dem „kurzen Moment der Euphorie“ nach dem Fall der Mauer beschäftigte sich Haslinger mit der Entwicklung, die Europa seither genommen hat, mit dem langsamen Hochziehen eines neuen Eisernen Vorhangs, der diesmal „nicht einsperren, sondern aussperren“ sollte, dem Dublin-Abkommen, „das es erlaubte, sich für unzuständig zu erklären und Flüchtlinge wie Frachtgut durch Europa zu schicken“, und einer europäischen Flüchtlingspolitik, die von einem „beschämenden politischen Wettbewerb“ der Abschottung und Entsolidarisierung gekennzeichnet war. „Es war, sagen wir es offen, ein fieser Trick.“
Die Katastrophe habe sich abgezeichnet, „doch der Ruf der UNHCR verhallte ungehört - bis sich die Flüchtlinge auf den Weg machten“, sagte Haslinger. „Angela Merkel hat das einzig Richtige getan. Sie hat ihr Land und damit auch die Nachbarstaaten an seine Pflicht erinnert“, so der Autor. „Europa geht nicht unter, wenn es zwei Millionen Flüchtlinge aufnimmt, aber es geht unter, wenn es die gemeinsamen humanitären Grundsätze aufgibt.“
Haslinger erinnerte daran, dass auch Wirtschaftsflüchtlinge keine Verbrecher seien und deren Fluchtgründe nur „über eine gerechtere Verteilung des Reichtums dieser Welt“ zu bekämpfen seien. Die Ängste der Menschen hierzulande seien vor allem zweifach begründet: die Angst vor einer Zunahme der Kriminalität und die Angst vor dem eigenen sozialen Abstieg. Ersteres könne durch rasche Integration der neu Zugewanderten verhindert werden, Letzteres durch die Befreiung der Politik „aus der Fessel des internationalen Bankwesens“.
Er träume von einem Neustart Europas im Geist von 1989, schloss Josef Haslinger, mit dem die EU beweisen könne, den Friedensnobelpreis von 2012 tatsächlich verdient zu haben. Es gelte, sich nicht einzuigeln, sondern zu öffnen: „Jetzt ist der Moment, in dem Europa lernen muss, in der Welt anzukommen.“
Burgtheater-Schauspieler wie Klaus Maria Brandauer, Maria Happel, Sabine Haupt, Mavie Hörbiger, Johannes Krisch, Birgit Minichmayr, Nicholas Ofczarek, Elisabeth Orth oder Martin Schwab lasen, umrahmt von Auszügen aus Elfriede Jelineks „Die Schutzbefohlenen“ und unterbrochen von Musikstücken des aus Syrien stammenden Trio Broukar, Texte von Thomas Arzt, Sabine Gruber, Karim El-Gawhary, Herta Müller und anderen, die sich mit Heimat, und Fluchterfahrung auseinandersetzten.
Die Schriftstellerin Julya Rabinowich behandelte in einem kurzen Text die Frage, „warum wir gleich sind und warum wir ungleich sind“, erinnerte an das jahrelange Wegschauen Europas vor den humanitären Katastrophen in den Kriegsgebieten und sagte: „Das Problem mit den Menschenrechten ist, dass sie unteilbar sind. Man hat sie ganz oder gar nicht.“