Wien-Wahl - Thomas Glavinic: „Rechts wird weiter erstarken“

Wien (APA) - Wenig überrascht vom doch deutlichen Vorsprung der SPÖ auf die FPÖ zeigte sich am Sonntagabend Autor Thomas Glavinic. „Die Wahr...

Wien (APA) - Wenig überrascht vom doch deutlichen Vorsprung der SPÖ auf die FPÖ zeigte sich am Sonntagabend Autor Thomas Glavinic. „Die Wahrscheinlichkeit, dass viel mehr als 30 Prozent der Wiener die FPÖ wählen, halte ich derzeit für gering. Das wurde im Vorfeld überschätzt. Es gibt da einen natürlichen Deckel, ein Limit bei der Anzahl der Wähler, die für ihre Politik stimmen.“

Dennoch sei die Wahl klar eine Stimmungswahl gewesen, „obwohl die Flüchtlingskrise in Wien ja noch gar nicht wirklich angekommen ist“, so Glavinic zur APA. „Die IS-Terroristen stehen ja nicht in Bataillonsstärke vor den Toren Wiens. Daher gibt es auch nicht so eine Hysterie, wie manche Leute seit Wochen gedacht haben.“ Anders ausgehen könnte eine solche Wahl in Zukunft jedoch, „wenn die Mitte der Gesellschaft kippt. Das könnte passieren, wenn auch in Österreich jeder Turnsaal voll mit Flüchtlingen wäre.“

Den starken Zuspruch für die SPÖ erklärt sich Glavinic auch daher, dass die Partei so vehement vor der FPÖ gewarnt habe. Damit seien sicherlich auch eigentliche Grün-Wähler mobilisiert worden. „Ich finde es töricht und grotesk, dass man eine Partei, die man eigentlich wählen will, aus taktischen Gründen nicht wählt. Dann wird sich nie etwas ändern.“

Den Einzug der NEOS begründet Glavinic damit, dass Wien eine andere Bevölkerungsstruktur aufweise als etwa Oberösterreich, wo die NEOS gescheitert sind. „Die NEOS sind endlich einmal eine Alternative, die Grünen sind ja auch schon 30 Jahre alt und hören sich auch so an“, sagt Glavinic. Die NEOS verfügten über „interessante Persönlichkeiten, die sich innerhalb der Partei aber auch stark unterscheiden. Wer geht von den interessanten jungen Politikern heute noch zur SPÖ oder ÖVP?“

Die Wien-Wahl sei aber auch richtungsweisend auf Bundes- und EU-Ebene: „Das ist die Richtung, in die es gehen wird. Rechts wird weiter erstarken, und irgendwann könnte da und dort die Mitte der Gesellschaft mit Schrecken erkennen, sich vom Ansturm an Zuwanderern überfordert zu fühlen. Und das kann dann sehr übel ausgehen.“ In Deutschland sei man ja mittlerweile in der Flüchtlingskrise „am Limit, in Bayern finden sich kaum noch Unterbringungsmöglichkeiten, und Angela Merkels Politik verliert täglich Zustimmung.“

Glavinic glaubt nach dem Wahlergebnis an eine Neuauflage von SPÖ/Grüne. „Eine Koalition SPÖ/ÖVP wird sich keiner trauen. Rot-Grün wird mit einigem Recht sagen, die Bevölkerung hat für die Fortsetzung ihres Kurses gestimmt. Alles andere entspräche nicht dem Wählerwillen.“

Die Autorin Julya Rabinowich sieht in dem Wahlergebnis mehr einen Grund zum Feiern denn einen Grund zum Grübeln: Mit einer klaren Position habe man offenbar mehr Erfolg als mit einer „Wischi-Waschi-Politik“. Angesichts hoher Lebenszufriedenheit in Wien und dem alles überschattenden Flüchtlings-Thema wolle sie kaum von einer Kommunalwahl sprechen: „Ich sehe diese Wahlen vor allem bundespolitisch“, so die Autorin zur APA. Aussagen von Grün-Politikern, die SPÖ habe nun offenbar zahlreiche „Leihstimmen“ von Grün-Wählern erhalten, hält Rabinowich für „unmöglich“, solche Interpretationen des freien Wählerwillens stünden Politikern nicht zu.

Der Misserfolg der ÖVP in Wien „wundert mich nicht“, agiere diese doch „zu wenig staatstragend“, während sie es nicht schlecht fände, dass die NEOS in das Rathaus einzögen: „Ich finde es immer gut, wenn sich etwas verändert“, sagt Rabinowich. Und was solle sich ihrer Meinung nach in der rot-grünen Stadtregierung, die aller Voraussicht nach eine Neuauflage erfahren wird, ändern? „Man muss erkennen, dass Schönreden nichts bringt. Und man sollte seinen Kritikern besser zuhören. Das kann nämlich nie schaden.“