Kandidiert er oder nicht? - Biden spannt Wähler auf die Folter

Washington (APA/dpa) - US-Vizepräsident Joe Biden ist für sein manchmal loses Mundwerk bekannt. Aber diesmal macht er Schlagzeilen durch das...

Washington (APA/dpa) - US-Vizepräsident Joe Biden ist für sein manchmal loses Mundwerk bekannt. Aber diesmal macht er Schlagzeilen durch das, was er nicht sagt. Seit Wochen schon lässt der 72-Jährige die Öffentlichkeit auf seine Entscheidung warten, ob er ins Präsidentschaftsrennen einsteigt, ob er versuchen wird, Hillary Clinton die schon fast sicher scheinende Spitzenkandidatur für die Demokraten noch zu entreißen.

US-Medien überbieten sich täglich mit Spekulationen über das Ob und Wann. Jetzt heißt es, Bidens Entscheidung stehe unmittelbar bevor. Aber das hat man auch schon früher gehört. Vielleicht wird es ja doch Ende Oktober. Mittlerweile wirkt das Ganze schon wie ein Possenspiel, das durch seine Länge zu ermüden beginnt. Sogar unter Bidens stärksten Unterstützern macht sich Ungeduld breit. Er selber speiste ihn bestürmende Journalisten kürzlich erneut mit einem „Ich werde mit Euch allen später darüber sprechen“ ab. Was immer das heißt.

Allerdings ist Biden alles andere als naiv, auch wenn er manchmal eher tölpelhaft verbal ins Fettnäpfchen tritt - wie etwa 2012, als er schwarze Wähler warnte, dass die Republikaner sie wieder „in Ketten legen“ könnten. Der Vize dürfte sehr gut wissen, dass die Uhr immer lauter tickt. „Keine Frage: Der D-Day ist für ihn da“, sagt denn auch die demokratische Analystin Hillary Rosen. D-Day steht hier für Decision Day, Tag der Entscheidung.

Aber viele meinen, dass die Uhr sogar schon abgelaufen ist, Biden zu lange gewartet oder sich vielleicht auch selber ausgetrickst hat. Jeder nahm es ihm ab, als er im Sommer den Krebstod seines Sohnes Beau als Grund dafür anführte, dass er sich so schwer mit seiner Entscheidung tue. Er sei noch dabei, den gerade erlittenen Verlust zu bewältigen, sich nicht sicher, ob er in der Lage sei, in einem Wahlkampf alles zu geben. „Ich habe diesen Punkt noch nicht erreicht“, sagte er.

Aber je länger er die Öffentlichkeit - und Hillary Clinton - auf die Folter spannt, desto stärker kamen Spekulationen auf, dass Biden auch taktische Motive habe. Clintons Wahlkampfauftakt war holperig, der Skandal um die Nutzung ihrer privaten E-Mail-Adresse für dienstliche Kommunikationen während ihrer Zeit als Außenministerin hat sie hartnäckig verfolgt. Linksaußen Bernie Sanders entpuppte sich im parteiinternen Rennen als stärkerer Rivale als gedacht. Da lag der Gedanke nahe, dass Biden abwarten wolle, wie Clinton sich weiter im Wahlkampf macht - um dann vielleicht als Retter der Demokraten in den Ring zu steigen.

Tatsächlich resultierten die im Sommer immer lauter gewordenen Rufe „Run, Biden run“ zum großen Teil auf der eher schwachen Vorstellung, die Hillary bis dahin im Wahlkampf abgegeben hatte. Aber das ist mittlerweile anders geworden. Nach ihrem glänzenden Auftritt bei der jüngsten ersten TV-Debatte der demokratischen Präsidentschaftsbewerber hat sie ihre Position als Anwärterin auf die Spitzenkandidatur gefestigt.

Zunehmend traut man ihr auch zu, dass sie eine demnächst anstehende Kongressanhörung meistern wird. Da geht es um den Terrorangriff auf die US-Botschaft im libyschen Benghazi 2012, den Vorwurf von krassen Fehleinschätzungen. Spekulationen gehen dahin, dass auch dieses Hearing bei Bidens Zeitplanung eine Rolle spielen könnte.

Inzwischen heißt es in Medienkommentaren immer häufiger: „Wer braucht Biden eigentlich noch?“ Und in einer jüngsten Umfrage in New Hampshire, das frühzeitig Vorwahlen zur Kandidatenkür abhält und daher besonderes Gewicht hat, sprachen sich nur 36 Prozent potenzieller demokratischer Wähler für eine Kandidatur Bidens aus. Erhebungen zeigen ihn derzeit US-weit auf Platz drei hinter Clinton und Sanders.

Die frühere First Lady hat inzwischen auch Abermillionen an Spenden für ihren Wahlkampf zusammengescheffelt, verfügt über eine gut geschmierte Wahlkampfmaschine und hat sich bereits die Unterstützung wichtiger Organisationen gesichert. Biden hätte arg aufzuholen.

Vor diesem Hintergrund versuchen besonders hartnäckige Anhänger nach besten Kräften, einen Niedergang der Biden-Begeisterung zu stoppen. „Wenn er sich für eine Kandidatur entscheidet, werden wir jeden von Ihnen brauchen“, schrieb etwa der frühere Staatssenator von Delaware, Ted Kaufman, der zum engeren Biden-Zirkel gehört. „Und zwar gestern.“

Aber das Problem ist nicht nur die wachsende Statur Clintons. Umgekehrt erscheint Biden mit jeden Tag, den er wartet, schwächer. Und bei allem Verständnis für die Trauer um seinen Sohn ist es auch ein Fakt, dass die Amerikaner einen Präsidenten wollen, der stark wirkt, entschlossen, ohne Wankelmut. Bidens Zögern passt dazu nicht. Und so mehren sich die Anzeichen, dass der Zug für ihn abgefahren ist, wie immer er sich auch entscheidet. Oder wann.