Den Geistern hinterher ins grausige Österreich
Berg- und Talfahrt am Volkstheater mit Thomas Bernhards Roman „Alte Meister“ in der Regie von Dušan David Parˇízek.
Von Bernadette Lietzow
Wien – Wie zwei in die Jahre gekommene Kinder wirken diese beiden Männer, zwei Buben mit der klaren Rollenverteilung Herr und Knecht, die sich balgen, bis der „Herr“ zur Beendigung des Spiels „abklopft“. Reger, den Wiener Musikkritiker, und Irrsigler, den burgenländisch-bodenständigen Aufseher, verbindet eine über Jahrzehnte währende bizarre Beziehung.
Schauplatz der regelmäßigen Begegnungen ist die vor Tintorettos Bildnis des „Weißbärtigen Mannes“ platzierte Sitzbank im (real nicht existierenden) Bordone-Saal des Wiener Kunsthistorischen Museums, Irrsiglers Arbeitsplatz. Da ist das Schlachtfeld, hier bringt Reger die Wortbomben, Verdrussraketen und zugespitzten Schmähpfeile zum Einsatz, sekundiert und gespiegelt vom getreuen Irrsigler. Dušan David Parˇízek konzentriert sich in seiner Fassung von Thomas Bernhards 1985 erschienenem Roman „Alte Meister“ auf diese zwei Protagonisten, indem er ihnen u. a. die Figur des „Atzbacher“ indirekt einverleibt.
Es ist ein geist- und geisterreiches Kammerspiel, das sich da vor den Augen und Ohren eines nach 100 Minuten absolut zufriedenen Premierenpublikums auf der zugegeben für den Rahmen waghalsig großen und beängstigend kahlen Bühne des Volkstheaters entfaltet. Drei Projektionsflächen, zwei Overhead-Projektoren, Bank, Stuhl und ein ellenlanger Galgenstrick aus dem Bühnenhimmel genügen dem auch für die Bühne zuständigen Regisseur. Folien mit Tintoretto-Fragmenten, da ein Auge, dort eine ins fast Pflanzliche vergrößerte Haarwirrnis, ein in die Skandal-Szenerie der Heldenplatz-Premiere 1988 winkender Thomas Bernhard, Reger in Polizeifotomanier, diese Bilder müssen genügen als Reisebegleiter in das Land der ebenso hochfahrenden wie hochkomischen, der bösen wie der traurigen, sich aus elementarer Einsamkeit speisenden Tiraden.
Weder Dürer, der „Ur- und Vor-Nazi“, Stifter, der „Schwätzer“, noch Heidegger oder Schopenhauer bleiben verschont von Regers wortgewaltiger Kanonade, deren Treffer am präzisesten da landen, wo die vernichtende (und erstaunlich aktuelle) Österreichanklage auf dem Plan steht. Für die Vermittlung dieser „Komödie“, so Bernhards Festlegung seines Prosa-Textes, braucht es Schauspieler, die den schmalen Grat zwischen Irrwitz und großem Leid selbstbewusst begehen und sich im Miteinander einig sind. Mit den neuen Ensemble-Mitgliedern Lukas Holzhausen als Reger und Rainer Galke als Irrsigler steht nun wohl die Idealbesetzung auf der Bühne.
Holzhausen geht unerhört sorgsam um mit der Rolle des nervigen Reger, berührend sowohl in den Rundumschlägen als in der Verzweiflung über den Tod der Ehefrau. Rainer Galke, massig und erstaunlich zart zugleich, ist als Regers liebevoller Buddy Irrsigler ebenso ein Ereignis. Begeisterter Applaus, auch aus der Loge von Minister Ostermayer, trotz der zeitlosen Attacken auf die österreichische (Kultur-)Politik.