53. Viennale: Kino über Krisen und Gäste mit Hollywood-Nostalgie

Wien (APA) - Unterschiedlicher könnten Auftakt und Schlusspunkt der 53. Viennale kaum sein: Mit Todd Haynes‘ großem Melodram „Carol“ beginnt...

Wien (APA) - Unterschiedlicher könnten Auftakt und Schlusspunkt der 53. Viennale kaum sein: Mit Todd Haynes‘ großem Melodram „Carol“ beginnt Österreichs größtes Filmfestival am Donnerstag (22.10.), mit der kleinen, feinen Stop-Motion-Fabel „Anomalisa“ endet sie knapp zwei Wochen später. Das umfangreiche Programm dazwischen verhandelt gegenwärtige Krisen, und Stargast Tippi Hedren bringt einen Hauch Nostalgie.

So sehr die Viennale mangels weiteren Stargästen auch dieses Jahr auf Glamour verzichtet, so elegant fällt ihr Eröffnungsfilm aus. Visuell atemberaubend das New York der 50er-Jahre wieder aufleben lassend, ist „Carol“ nur vordergründig ein opulentes Kostümdrama. Von bis heute nicht vollends aufgebrochenen Klassen- und Geschlechterkonventionen erzählte Patricia Highsmith in ihrem 1952 veröffentlichten Roman „Salz und sein Preis“, der nun mit Cate Blanchett und Rooney Mara verfilmt wurde. Letztere erhielt als junge Verkäuferin Therese Belivet, die sich in die wohlhabende, in Scheidung lebende Carol Aird (Blanchett) verliebt, bei den diesjährigen Filmfestspielen von Cannes hoch verdient den Darstellerpreis. Eine Oscar-Nominierung wird Nachwuchsstar Mara ebenso vorausgesagt wie der bereits dreifach prämierten Kostümdesignerin Sandy Powell („Shakespeare in Love“, „Aviator“), die zur Österreichpremiere im Gartenbaukino anreist.

War die USA vor 60 Jahren von wirtschaftlichem Aufschwung geprägt, ist sie heute von den Folgen der schweren Finanz- und Immobilienkrise gezeichnet. Ausgesprochen viele Produktionen im Hauptprogramm der Viennale erzählen mit durchaus zweifelndem, düsterem Blick von Krisen gebeutelten Regionen, sozialem Umbruch und den großen Herausforderungen unserer Zeit. Dokumentarfilme nehmen sich der Gentrifizierung an, die Schmelztiegel wie New Yorks Stadtviertel Jackson Heights gefährdet (Frederick Wisemans „In Jackson Heights“) und einstige Industriehochburgen wie Detroit („Detroit Overture“) und Gary („My Name is Gary“) als Geisterstädte zurücklässt. Und Ramin Bahrani zeigt in „99 Homes“ - top besetzt mit Andrew Garfield und Michael Shannon - das blühende, schmutzige Geschäft der Zwangsräumungen.

Die Brücke nach Europa schlägt der portugiesische Ausnahmeregisseur Miguel Gomes mit seiner bereits in Cannes bejubelten Trilogie „As mil e uma noites“, in der er vor dem Hintergrund europäischer Starpolitik „1001 Nacht“ ins portugiesische Heute überträgt. Auch die sich dramatisch zuspitzende Flüchtlingskrise schlägt sich im Programm wieder und wird im Rahmen des „Internationalfeiertags“ am 26. Oktober im Gartenbaukino gar zum zentralen Thema auserkoren. Nehmen sich die österreichischen Regisseure Jakob Brossmann und Gerald Igor Hauzenberger mit „Lampedusa im Winter“ und „Last Shelter“ der aktuellen Dramatik an, stellen die Franzosen Jacques Audiard („Dheepan“) und Philippe Faucon („Fatima“) die Frage nach dem Danach: der Integration in der neuen, fremden Heimat.

Verkaufsschlager sind vorerst aber traditionell andere: Beim mit 42.000 abgesetzten Tickets erneut starken Vorverkaufsstart waren Karten für die großen „Gartenbau-Kracher“ wie Woody Allens „Irrational Man“, Yorgos Lanthimos‘ Groteske „The Lobster“ oder den Sundance-Festival-Hit „Me and Earl and the Dying Girl“ als erstes weg. Ausweichmöglichkeiten gibt es unter den knapp 300 Filmen in fünf Innenstadtkinos jedenfalls genug, wobei sich Spiel- und Dokumentarfilme heuer annähernd die Waage halten und Porträtdokus, Coming-of-Age-Dramen und US-Independentproduktionen gewohnt stark vertreten sind. US-Dokumentaristin Amy Berg stellt persönlich ihr Janis-Joplin-Porträt „Janis: Little Girl Blue“, der israelische Regisseur Amos Gitai sein Drama „Rabin, The Last Day“ vor. Ihr Kommen abgesagt haben indes US-Indie-Liebling Alex Ross Perry („Queen of Earth“) und Federico Veiroj, dem ein Spezialprogramm gewidmet ist.

Mit Stephan Richters „Einer von uns“, der kürzlich im Nachwuchswettbewerb in San Sebastian lief, ist heuer nur ein heimischer Spielfilm neben sieben Dokus vertreten. Dafür hat die österreichische Avantgarde von Peter Tscherkassky über Siegfried A. Fruhauf bis Sasha Pirker die Kurzfilmsektion fest in ihrer Hand und steuert das Filmarchiv mit „Austrian Pulp“ im neu eröffneten Metro Kinokulturhaus erstmals eine Retrospektive bei, die über die Festivaldauer hinausgeht. Seit 9. Oktober läuft die von Paul Poet kuratierte Schau zum heimischen Genre-Kino, der am 16. Oktober die nicht minder verspielte, traditionelle Retrospektive des Österreichischen Filmmuseums gefolgt ist: Mit „Animals“, einer 140 Filme umfassenden „Zoologie des Kinos“, laden Filmmuseum und Viennale heuer auf eine tierische Entdeckungsreise von „King Kong“ bis „Bambi“.

Programmatisch mutet da der diesjährige Stargast der Viennale an: Während das Festival mit „Marnie“ einen der größten Hitchcock-Klassiker in Anwesenheit der Hauptdarstellerin Tippi Hedren am 29. Oktober als Gala präsentiert, gibt die heute 85-jährige Tierrechtsaktivistin am Folgetag im Rahmen von „Animals“ auch eine Einführung zu ihrem Erfolgsdebüt „Die Vögel“. Um die Zeit, als Hedren ihre kurze, aber dennoch kultige Karriere startete, war der gebürtige Wiener Eric Pleskow in Hollywood bereits mehr als umtriebig: Der Produzent zahlreicher Oscar-gekrönter Filme beehrt heuer nach drei Jahren Pause wegen gesundheitlicher Unpässlichkeit wieder jenes Festival, dem er als Präsident vorsteht. Und ist für Festivaldirektor Hans Hurch dementsprechend verdient „der wahre Star der Viennale“.

(S E R V I C E - 53. Viennale, 22. Oktober bis 5. November, www.viennale.at)