53. Viennale: Dokumentarschiene ehrt die Macher des Kinos
Wien (APA) - Bei der Viennale gilt die Dokumentarfilmschiene traditionell als eine der zentralen Stützen des Festivals. Auch bei der 53. Aus...
Wien (APA) - Bei der Viennale gilt die Dokumentarfilmschiene traditionell als eine der zentralen Stützen des Festivals. Auch bei der 53. Ausgabe des Filmfestivals gibt es wieder ein buntes Kompendium zu den vielfältigen Phänomenen der Welt und ihrer Bewohner. Ein Fokus liegt dabei heuer auf den großen und widerborstigen Köpfen des Weltkinos, sind doch zahlreichen Filmemachern Werke gewidmet. Ein Überblick:
„Claude Lanzmann: Spectres of the Shoah“ (Großbritannien/Kanada 2015): Die Shoah ist das große Lebensthema von Claude Lanzmann geworden. Mit seinem gleichnamigen Ausnahmedokumentarfilm hat sich der französische Intellektuelle 1985 in die Annalen der Holocaustaufarbeitung geschrieben, wofür er nicht zuletzt bei der Viennale 2013 ausgiebig gewürdigt wurde. Mit „Claude Lanzmann: Spectres of the Shoah“ hat sich der britische Dokumentarist Adam Benzine nun der Genese des Epochalwerks und der Persönlichkeit seines Erschaffers gewidmet. Primär konzentriert sich Benzine in seinem Regiedebüt dabei auf die Hintergründe der Entstehung des knapp zehnstündigen Filmessays. Nur kurz, dafür umso eindringlicher sind die Momente abseits dieser Making-of-Gestaltung, in denen sich die Dokumentation der Persönlichkeit des bald 90-jährigen Lanzmann nähert. Der lässt im Interview die tiefe Verstörung erkennen, die sich durch die jahrelange Beschäftigung mit den Mechanismen der NS-Terrorherrschaft entwickelt hat und die letztlich in Selbstmordgedanken gipfelt. So weist Lanzmann die Frage, ob er Optimist sei, mit dem Verweis auf seinen absehbaren Tod entrüstet von sich. Gern hätte man mehr von diesem persönlichen Porträt in diesem nur 40-minütigen Film gesehen. (23.10., 16 Uhr, Metro Kinokulturhaus; 26.10., 15.30 Uhr, Urania)
„Behind Jim Jarmusch“ (Frankreich 2011) und „Travelling at Night with Jim Jarmusch“ (Frankreich 2014): Banal betrachtet hat die französische Dokumentardebütantin Lea Rinaldi mit ihren beiden Werken, welche von der Viennale unter dem stimmigen Titel „Jim Jarmusch at work“ im Doppelpack gezeigt werden, zwei Making-ofs von Drehs des US-Kultregisseurs Jim Jarmusch geschaffen. Und doch sind die beiden knapp einstündigen Werke, die während der Dreharbeiten an „The Limits of Control“ und „Only Lovers Left Alive“ drei Jahre später entstanden, so viel mehr. In beiden Fällen überrascht die ausgesuchte Bildgestaltung, die eher dem Arthouse-Kino als dem Dokumentarbereich zu entstammen scheint. In „Behind“ gelingt Rinaldi ein stimmiges Porträt des in seiner Coolness schlicht umwerfenden Jarmusch, der meist aus dem Off seine Weltsicht mit philosophischen Sätzen umreißt. Zugleich bietet die Filmemacherin einen authentischen Eindruck von der Atmosphäre am Set abseits der üblichen Werbefilmchen, welche die Marketingkampagnen großer Produktionen begleiten. Die Zeit und das Nicht-Geschehen spielen in beiden Arbeiten eine zentrale Rolle, wobei Rinaldi für „Travelling“ auf Off-Kommentare gänzlich verzichtet. In einem weiteren Punkt unterscheiden sich „Behind“ und „Travelling“ fundamental. Während im ersteren Fall die Hitze im sonnendurchfluteten Sevilla gleichsam aus dem Bildkader zu strömen scheint, gibt beim Vampirfilm „Only Lovers Left Alive“ die Nacht die Tonalität vor. (31.10., 23 Uhr, Metro; 5.11., 11 Uhr, Stadtkino im Künstlerhaus)
„How to Smell a Rose: A Visit with Ricky Leacock in Normandy“ (USA 2014): Berühmt wurde Les Blank in den 1960ern mit Dokumentarfilmen über Musiker, von denen er im Laufe seiner Karriere etwa Dizzy Gillespie oder Clifton Chenier ein Denkmal setzte. Für „How to Smell a Rose“ besuchte Blank allerdings gemeinsam mit seiner Co-Regisseurin Gina Leibrecht mit Ricky Leacock einen Kollegen. Der Mitbegründer des Direct Cinema empfing die beiden Filmemacher in seinem Haus in der Normandie. Es entwickelt sich in Folge eine entspannte Konservation über das Filmemachen und das Kochen. Die große Frage, ob man das Filmemachen lernen könne, führt dabei zum Vergleich, der den Titel des Werks bildet. Nach den Dreharbeiten verstarb Leacock 2011. Les Blank folgte ihm zwei Jahre später. (24.10., 16 Uhr, Stadtkino; 25.10, 11 Uhr, Metro)
„Jia Zhangke, um Homem de Fenyang“ (Brasilien 2014): Selbst bitterer Armut entstammend, hat sich der chinesische Filmemacher Jia Zhangke zum Chronisten jener Veränderungen entwickelt, die sein Land derzeit im Eiltempo gänzlich transformieren - ein Porträtist verschwindender Landschaft und Menschen. Sein brasilianischer Kollege Walter Salles widmet Zhangke nun selbst eineinhalb Stunden Film. (5.11., 13.30 Uhr, Gartenbaukino)
„Paul Sharits“ (Kanada 2015): Paul Sharits gehörte zu den experimentierfreudigsten Vertretern des Avantgardekinos. Ab den 1960ern begann er, Form und Farbe in den Fokus seiner Arbeit zu nehmen und mit dem für ihn charakteristischen Flickereffekt bewusst die Sinne seiner Seher zu überfordern. Der Kanadier Francois Miron hat für seine filmische Hommage an den 1993 mit nur 50 Jahren verstorbenen Kollegen einerseits mit vielen Wegbegleitern und Kollegen gesprochen, andererseits viel unbekanntes Archivmaterial ausgegraben. (23.10., 20.30 Uhr, Metro; 24.10., 16 Uhr Metro)
„The Thoughts That Once We Had“ (USA 2015): Gilles Deleuzes Schriften zum Kino gehören zu den einflussreichsten und zugleich kryptischsten Theorien zum Kino und seiner Geschichte. Filmessayist Thom Andersen unternimmt nun den Versuch, die Bezugssysteme des Franzosen durch eine radikal persönlich gefärbte Bebilderung mit Ausschnitten aus der Kinogeschichte zu visualisieren. Einblendungen von Deleuze-Zitaten stellt er Clips gegenüber, die von D.W. Griffith über Nazipropaganda, von Alain Resnais „Hiroshima, mon amour“ bis zu Fritz Langs „Das indische Grabmal“ reichen. Am Ende steht ein collagenhaftes Werk, das sich von den Metaclips im YouTube-Zeitalter nur durch den intellektuellen Anspruch unterscheidet, dem Deleuze-ungeübten Zuseher wohl aber ebenso unzugänglich bleiben wird wie die philosophische Vorlage. (31.10., 20.30 Uhr, Urania; 4.11., 16 Uhr, Stadtkino)
(S E R V I C E - 53. Viennale, 22. Oktober bis 5. November, www.viennale.at)