Als Baby verheiratet: Indiens Kinderbräute kämpfen um ihre Freiheit

Neu-Delhi (APA/AFP) - Santadevi Meghwal ist vom Ältestenrat ihres Heimatdorfes in Indien bedroht, schikaniert und geächtet worden. Ihr Verbr...

Neu-Delhi (APA/AFP) - Santadevi Meghwal ist vom Ältestenrat ihres Heimatdorfes in Indien bedroht, schikaniert und geächtet worden. Ihr Verbrechen: Die 20-Jährige will ihre Kinderehe annullieren lassen und damit aus einer uralten, inzwischen illegalen Tradition ausbrechen.

Noch immer werden in Indien Millionen Kinderehen geschlossen, vor allem in armen, ländlichen Gebieten. Offiziellen Zahlen zufolge gaben fast 50 Prozent der Frauen zwischen 20 und 24 an, sie seien noch vor ihrem 18. Lebensjahr verheiratet worden. Besonders verbreitet ist der Brauch im Wüstenstaat Rajasthan.

Meghwal war elf Monate alt, als der mächtige Dorfrat - allesamt Männer der gleichen Kaste - sie mit einem neunjährigen Buben aus einem Nachbardorf verheiratete. Mit 16, so erinnert sie sich, sah sie ihren Ehemann zum ersten Mal: Eine Freundin, deren Familie bei der „Hochzeit“ dabei gewesen war, zeigte auf einen randalierenden Betrunkenen vor ihrer Schule. „Meine Freundin sagte: ‚Schau, das ist dein Mann‘“, erzählt Meghwal. Fassungslos rannte sie nach Hause und stellte ihre Eltern zur Rede: „Ich fragte sie, warum habt ihr mich auf diese Weise verheiratet? Wie alt war ich eigentlich?“, berichtet die inzwischen 20-Jährige, die an der Universität von Jodhpur Kunst studiert.

Mit 17 hätte Meghwal mit ihrem Mann zusammenziehen sollen. Stattdessen nahm sie den Kampf gegen den Dorfrat auf und wies ihre Schwiegereltern ab. Das hatte böse Folgen. Die alten Männer schlossen ihre Familie aus dem Dorfleben im Bezirk Jodphur aus. Ihrem Vater brummten sie zudem eine Geldstrafe von umgerechnet 21.500 Euro auf, die der Steinmetz nicht bezahlen kann. Im Mai wandte sich Meghwal schließlich an den Sarathi-Trust - vermutlich die einzige Organisation, die bei der Auflösung von Kinderehen hilft. Stiftungsdirektorin Kriti Bharti betont, in den Gesetzen gegen Kinderehen gebe es einen Passus für Annullierungen: „Die Verheiratung von Kindern ist wie ein riesiger, dunkler Raum. Doch in einem kleinen Gesetz fanden wir einen Lichtstrahl der Hoffnung.“

27 Ehen wurden in Rajasthan inzwischen mithilfe der Stiftung annulliert, meist mit Zustimmung beider Seiten. Auf diese Weise entgingen die Frauen dem Stigma einer Scheidung. Meghwal hofft, die Auflösung auch gegen den heftigen Widerstand ihres Mannes durchzusetzen - obwohl dieser sogar mit ihrer Entführung drohte.

Die Behörden gehen seit einiger Zeit alljährlich am religiösen Feiertag Akshaya Tritiya gegen Kinderehen vor, weil dann besonders viele Hochzeiten stattfinden. Zusammen mit Sozialarbeitern löst die Polizei illegale Zeremonien in den Dörfern auf und setzt Priester, Druckereien, Gastronomen und Zelt-Verleihe unter Druck, Aufträge für Kinderhochzeiten abzulehnen.

Dank solcher Kampagnen und staatlicher Hilfen für Familien, die ihre Töchter erst später verheiraten, gibt es inzwischen weniger Kinderbräute. Doch viele Eltern halten an der Praxis fest, weil sie auf die finanzielle Versorgung ihrer Töchter durch die Schwiegerfamilie hoffen. Auch aus Angst vor vorehelichem Sex oder sexuellem Missbrauch werden viele Mädchen früh weggegeben.

Die Folgen sind verheerend: Oft müssen die jungen Ehefrauen die Schule aufgeben und sich um den Haushalt kümmern. Weil sie viel zu früh gebären, bekommen sie und ihre Kinder gesundheitliche Probleme. „Diese Mädchen erhalten weniger Bildung, haben größere Probleme, ihre Kinder aufzuziehen und sind deutlich mehr Gewalt ausgesetzt, es ist eine wahre Kettenreaktion“, sagt Joachim Theis von UNICEF Indien.

Meghwal will eines Tages Lehrerin werden und beweisen, dass sie ihr Leben selbst regeln kann. „Ich werde eines Tages heiraten“, sagt sie unter Tränen. „Aber erst, wenn ich meine Ausbildung beendet habe und auf eigenen Füßen stehe.“