Schläge und Schicksalsschläge: „Mesopotamien“ von Serhij Zhadan

Wien (APA) - Die Ukraine sorgt seit Jahren vor allem aufgrund des von pro-russischen, separatistischen Rebellen geschürten militärischen Kon...

Wien (APA) - Die Ukraine sorgt seit Jahren vor allem aufgrund des von pro-russischen, separatistischen Rebellen geschürten militärischen Konfliktes für Schlagzeilen. Neue ukrainische Literatur muss sich aber nicht notwendiger Weise mit diesem Thema beschäftigen. Ein schillerndes Stadtporträt von Charkiw (Charkow) liefert der Roman „Mesopotamien“ von Serhij Zhadan. Der Autor stellt sein Buch morgen in Wien vor.

Mit dem 2010 erschienenen Roman „Die Erfindung des Jazz im Donbass“ gelang dem heute 41-Jährigen Germanisten, der bereits ein umfangreiches literarisches Werk in Lyrik und Prosa geschaffen hat, ein viel beachtetes und mehrfach ausgezeichnetes Buch. Seine Geburtsstadt Luhansk liegt heute im Separatistengebiet, Charkiw, wo er seit vielen Jahren lebt, rund 200 Kilometer von der Kampfzone in der Ostukraine entfernt. Für Zhadan liegt Charkiw, mit 1,4 Millionen Einwohnern die zweitgrößte Stadt des Landes, im Zwischenstromland, zwischen dem ukrainischen Dnjepr im Westen und dem russischen Don im Osten. Und archaisch wirken auch die Lebensgeschichten, die er in „Mesopotamien“ wie auf einer Perlenschnur aufreiht.

Neun miteinander lose verbundene Biografien werden angerissen - es sind Momentaufnahmen voller Verlorenheit und Brutalität, Liebessehnsucht und Schicksalsergebenheit. Sie heißen Marat oder Romeo, Foma oder Jura und versuchen alle, einen Platz im Leben zu finden und zu verteidigen. Aber da sind meist schon andere, die dasselbe wollen. Erstaunlich, mit welcher Lakonie Serhij Zhadans Personal Schläge und Schicksalsschläge einzustecken versteht. Dass den mannigfaltigen Versuchungen meist üble Strafen folgen, wird ebenso stoisch als naturgegeben hingenommen wie die Verbindung von Sex und Gewalt. Es sind Geschichten voller Atmosphäre, die sprachlich ohne Kraftmeierei und Elends-Voyeurismus auskommen, aber klar vermitteln, dass es hier zwar immer ums Ganze geht, doch jeder Sieg stets nur ein kleiner Etappensieg sein wird.

Auf den ersten Teil „Geschichten und Biographien“ lässt Serhij Zhadan noch einen zweiten Teil folgen, „Erläuterungen und Verallgemeinerungen“. Es sind Gedichte, mit denen das Atmosphärische auf andere Weise eingefangen wird. „Was wird aus dir? Du kannst mit uns singen, / in unseren Kreis kommen, uns die Hand auf die Schulter legen: / wir sind eins im Glauben, / eins in der Liebe, / eins in der Einsamkeit, / eins in der Enttäuschung.“

Auch Zhadans jüngste Publikation in der Ukraine ist ein Gedichtband. „Zittja Marii“ (Marienleben) erzählt vom Krieg. Im Frühjahr hat der Autor damit eine Lesetournee durch 30 ukrainische Städte absolviert und erzählte danach von den Tränen, die bei den Lesungen vergossen wurden. Den meisten Menschen sei es wie dem Protagonisten seines in Entstehung befindlichen neuen Romans ergangen: Sie hätten dahingelebt, ohne sich groß um Politik zu kümmern. Und seien plötzlich in einem Krieg aufgewacht.

(S E R V I C E - „Mesopotamien“ von Serhij Zhadan, Deutsch von Claudia Dathe, Sabine Stöhr und Juri Durkot, Suhrkamp, 362 S., 23,60 Euro, Buchpräsentation mit dem Autor am Mittwoch, 21.10., 19 Uhr, Hauptbücherei Wien, Wien 7., Urban-Loritz-Platz 2a)