Durch Matsch und Kälte ins gelobte Land - Flüchtlinge auf dem Balkan

Ljubljana/Zagreb (APA/dpa-AFX) - Seit dem Wochenende jeden Tag das gleiche Bild in Serbien und Kroatien. Hunderte, manchmal tausende Flüchtl...

Ljubljana/Zagreb (APA/dpa-AFX) - Seit dem Wochenende jeden Tag das gleiche Bild in Serbien und Kroatien. Hunderte, manchmal tausende Flüchtlinge warten vor den geschlossenen Grenzen. Es schüttet wie aus Kübeln. Die Landschaft versinkt im Schlamm. Und mittendrin die Flüchtlinge: Viele Männer, an manchen Tagen aber genauso viele Familien mit Kindern und sogar Minderjährige ganz allein auf sich gestellt.

Alle haben sich notdürftig Nylonüberwürfe gegen den Dauerregen übergezogen. Aber unten schauen nicht selten nackte Füße heraus, die nur in Flipflops stecken. Immer wieder sind Rollstühle zu sehen, die mit dreckverschmierten Reifen im Morast stecken bleiben. Die Menschen sind erschöpft, durchnässt und bis auf die Knochen durchgefroren.

Einige suchen unter Bäumen völlig unzureichenden Schutz, andere scharen sich um kleine Feuer, um wenigstens etwas Wärme abzubekommen. Blätter, Äste, aber auch Müll und ausgedientes Plastik in den Flammen sind für beißenden Gestank verantwortlich. Manche kommen in den überfüllten Zelten unter, die an den Drehkreuzen der Route aufgestellt worden sind. Im aufgeweichten Boden kann man die Spuren des Leidenswegs sehen: leere Konserven und Trinkflaschen, zerrissene und patschnasse Decken, Kinderspielzeug.

Manchmal belegt ein zurückgelassener Schuh den eiligen Aufbruch. Denn wenn die Grenze vorübergehend geöffnet wird und einige hundert Menschen durchgelassen werden, dann beginnt das Gerangel um den besten Startplatz zur Einreise. Das war in Griechenland so, in Mazedonien und Serbien auch. Und jetzt passiert das Gleiche in Kroatien. Die Helfer wundern sich, dass trotz der übermenschlichen Anstrengungen für diese Gewalttour aus der Türkei bis hierher noch niemand vor ihren Augen zusammengeklappt ist.

„Bis vor drei Wochen haben diese Menschen noch relativ normal gelebt“, erklärt Melita Sunjic vom Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) dieses kleine Wunder. „Die Leute haben Gott sei Dank noch körperliche Reserven, um die Strapazen zu bewältigen“. Natürlich gebe es viele Atemwegserkrankungen und äußere Verletzungen. Aber das sei behandelbar mit den Medikamenten und Medizinern vor Ort.

Tausende haben die Nacht auf Dienstag vor dem geschlossenen serbisch-kroatischen Grenzübergang Berkasovo/Bapska verbracht. „Zwei bis dreitausend“, schätzt ein serbischer Polizist. Die Grenze war bis drei Uhr früh geschlossen. Dann wurden pro Stunde bis zu 150 Leute von den Kroaten durchgelassen. Nicht wenige der Wartenden haben die Nacht auf den Beinen verbracht. Der aufgeweichte Boden lässt Sitzen nicht zu, geschweige denn Liegen.

Auch am zweiten Flüchtlingsbrennpunkt in Kroatien, Mursko Sredisce an der Grenze zu Slowenien, verstehen die Menschen nicht, warum sie von der Polizei an der Weiterreise gehindert werden. „Aufmachen, aufmachen!“, skandieren sie immer wieder. „Wir sind doch nur im Transit und wollen nach Deutschland“, sagen die meisten. Die komplizierten politischen Probleme zwischen den Ländern in Südosteuropa kennen sie natürlich nicht. Oft wissen die Flüchtlinge aus Syrien, Pakistan, Afghanistan und dem Irak nicht einmal, wo sie sich gerade befinden.

Die Staaten der Region, die traditionell ihre Konflikte pflegen, geben sich gegenseitig die Schuld an der Misere. Slowenien schimpft auf Kroatien, Kroatien auf Serbien und alle zusammen schimpfen sie auf Griechenland, wo die Menschen nach der Überfahrt aus der Türkei erstmals EU-Boden erreichen. Der kroatische Regierungschef Zoran Milanovic will Marineboote nach Griechenland schicken, um bei der Schließung der Meeresgrenze zur Türkei zu helfen. Schließlich habe sein Land durch die über 1.000 Kilometer lange Adriaküste Erfahrung damit, argumentiert er.

In Berkasovo ist an diesem Dienstagvormittag wie auch an den anderen serbisch-kroatischen Grenzübergängen eine Art Katz-und-Maus-Spiel zu beobachten. Die Flüchtlinge versuchen, der martialisch ausgerüsteten Polizei ein Schnippchen zu schlagen. Denn so viele Polizisten gibt es nicht, dass sie die lange Grenze durchgehend absperren könnten. Und so gelingt es auch am Mittwoch wieder Tausenden, sich am Polizeikordon vorbei durch Maisfelder und Weingärten über die grüne Grenze zu schlagen. Ziel des Fußweges ist das 15 Kilometer entfernte Erstaufnahmelager Opatovac. Doch das ist schon hoffnungslos überfüllt.

In langen Kolonnen ziehen die Flüchtlinge weiter. Über aufgeweichte Feldwege und lehmverschmierte Straßen. Alle tragen ihr Hab und Gut in Rucksäcken oder schlichten Beuteln über der Schulter. Frauen halten ihre Kleinkinder im Arm, die Großen stapfen tapfer an den Händen der Eltern voran. Die Kleinen finden Trost bei ihren Kuscheltieren. Ein Sohn schiebt seinen Vater, der wie angewurzelt in der Schubkarre sitzt. Rechts und links warten Helfer, die die aus ihrer Heimat Vertriebenen mit Snacks und Getränken versorgen.

Die Anstrengungen verschärfen immer wieder Konflikte zwischen den Flüchtlingen. Syrer gegen Afghanen ist eine übliche Streitkonstellation, wie Helfer festgestellt haben.

Vor ein paar Wochen war es noch leichter. Da wurden die Flüchtlinge quasi von Staats wegen durch Mazedonien, Serbien und Kroatien nach Ungarn gebracht. Deutlich mehr als 200.000 waren es allein in den letzten sechs Wochen. Doch seit die Ungarn vergangenes Wochenende die Grenze mit einem Stacheldrahtzaun abgeriegelt haben, geht hier nichts mehr.

Der Balkan ist traditionell ein Ort für Verschwörungstheorien. Und die eine geht so: Im Hintergrund ziehen die USA die Fäden, um damit Europa zu islamisieren und dadurch zu schwächen. Ein möglicher Grund für diese Sichtweise: Viele Menschen in Südosteuropa fühlen sich durch die teils fast schon euphorische Aufnahmebereitschaft in Deutschland und Österreich bei Beginn des massiven Zuzugs vom reicheren Westen benachteiligt. Denn bis dahin kamen die meisten Asylbewerber aus den Balkanländern. Jetzt gelten diese als sichere Drittländer - und die Menschen von dort haben kaum noch Chancen, in Westeuropa Fuß zu fassen.