Flüchtlinge - Vorbereitungen auf „das Schlimmste“ in Jordanien
Amman (APA) - Im syrischen Bürgerkrieg ist immer noch keine Lösung in Sicht. Zugleich mussten die Unterstützungsleistungen für Flüchtlinge i...
Amman (APA) - Im syrischen Bürgerkrieg ist immer noch keine Lösung in Sicht. Zugleich mussten die Unterstützungsleistungen für Flüchtlinge in der Region in den vergangenen Monaten drastisch gekürzt werden, da den Hilfsorganisationen die Gelder fehlten. So auch in Jordanien. „Für das kommende Jahr bereiten wir uns auf das Schlimmste vor“, sagte Sawsan Sa‘ada von CARE International in Jordanien gegenüber der APA.
Es sei völlig unklar, wann und in welcher Höhe internationale Gelder in den nächsten Monaten - oder Jahren - an die Hilfsorganisationen gezahlt würden. Zudem steht in Jordanien der Winter vor der Tür: Viele der Wohnungen, in denen die Flüchtlinge aus Syrien unterkommen konnten, sind in einem äußerst schlechten Zustand, wie Sa‘ada berichtete. Um zu vermeiden, dass die Menschen während der kalten Jahreszeit frieren müssen, unterstützt CARE die Flüchtlinge dieses Jahr mit bis zu 400 Jordan-Dinar (JOD) - also rund 496 Euro - für Decken, Heizmaterialien und Heizgeräte, das Programm nennt sich „Cash for Winterization“ (Geld zur Winterversorgung).
Zudem bietet CARE vielfältige Unterstützungen für Schutzsuchende an: Sie schließen psychosoziale Betreuung, Bildungsmaßnahmen und weitere finanzielle Unterstützung für Flüchtlinge ein. Um Spannungen zwischen der Aufnahmegesellschaft und den syrischen Schutzsuchenden vorzubeugen, wird auch für von Armut betroffene Jordanier Unterstützung angeboten, so Sa‘ada.
Für einen fünfköpfigen Haushalt liegt die nationale Armutsgrenze in dem Land bei einem monatlichen Gesamteinkommen von 700 JOD (867,52 Euro). Mindestens zehn Prozent der jordanischen Haushalte sind laut Sa‘ada davon betroffen, bei den syrischen Flüchtlingen sind es bis zu 85 Prozent.
Im Zusammenhang mit Bildung zeigte sich Sa‘ada sehr besorgt: „Rund ein Drittel der Kinder geht nicht in die Schule“, erklärte sie. Laut CARE sind davon bis zu 80.000 Kinder im schulfähigen Alter in Jordanien betroffen. Auch Caroline Gluck von der humanitären Organisation der Europäischen Kommission (ECHO) zeigte sich sehr besorgt: „Was wird mit dieser Generation passieren? Und was wird mit der darauf folgenden Generation passieren?“, fragte sie und sagte: „Das ist nicht nur eine große Herausforderung, das ist eine der Tragödien - möglicherweise werden wir mit einer verlorenen Generation konfrontiert sein.“
Laut CARE werden viele Kinder aufgrund der prekären finanziellen Lage der eigenen Familie zum Arbeiten hinaus geschickt. Mit dem Programm „Cash for Education“ (Geld für Bildung) soll dem entgegen gesteuert werden. Die Erfolgsquote, Kinder auf diesem Weg wieder in Schulen zu bekommen, sei sehr gut, erklärte Sa‘ada. Zugleich suche man gemeinsam mit den Eltern der betroffenen Kinder nach legalen Einkommensquellen. Das Programm soll nur als Übergangslösung dienen.
Die Vielfalt an Unterstützungsmaßnahmen täuscht ein wenig darüber hinweg, dass in den vergangenen Monaten bei der Lebensmittelhilfe und bei der medizinischen Versorgung radikale Kürzungen vollzogen wurden. Das trifft vor allem die Menschen außerhalb der Flüchtlingslager hart: Aus dem System der Essensgutscheine vom Welternährungsprogramm (WFP) wurden laut CARE-Mitarbeitern rund 229.000 Personen ausgeschlossen, weitere rund 211.000 Menschen bekommen nun monatlich umgerechnet 12,48 Euro pro Person für Nahrungsmittel - bis vor kurzem lag der Betrag noch bei 31,20 Euro.
In mehreren Gesprächen schilderten syrische Flüchtlinge gegenüber der APA in Jordanien, dass das Andauern des Bürgerkriegs in ihrem Heimatland sowie die Kürzungen der Unterstützungsleistungen für immer mehr Verzweiflung unter ihnen sorgt. Der Blick in die Zukunft macht ihnen Angst: Die Bildungsqualität ist angesichts der Überlastung des Schulsystems durch Zehntausende zusätzliche Kinder gesunken und es gibt kaum Zugang zum legalen Arbeitsmarkt.
Viele dächten deshalb an Emigration in ein drittes Land, vor allem an ein europäisches, erklärten Rafah, Mohammad, Ibtisam und Ramda im CARE-Zentrum in Amman gegenüber der APA. Sie sind vier von den insgesamt knapp 630.000 syrischen Flüchtlingen in Jordanien, die das Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) bisher registriert hat. Alle vier sind zurzeit als Freiwillige bei CARE tätig.
Rafah aus Homs lebt seit zweieinhalb Jahren in Jordanien und möchte in die Niederlande auswandern, wie die junge Frau der APA schilderte. Zwei ihrer Brüder brachten sich dort vor den Kriegswirren in Syrien in Sicherheit. Die Lebensumstände in Jordanien seien schwierig, es gebe wenig Perspektive - auch Arbeit betreffend. „Vor CARE habe ich in Jordanien in einer Privatschule unterrichtet, natürlich schwarz. Legal darf ich hier ja nicht arbeiten. Und während meine Kolleginnen 600 JOD (743,59 Euro) monatlich verdient haben, habe ich 150 JOD (185,90 Euro) bekommen - falls sie mir mein Gehalt überhaupt ausbezahlt haben.“
Auch Mohammad denkt an Auswanderung. Er bemühe sich an zahlreichen Botschaften um ein Visum, auch für das UNHCR-Resettlement-Programm habe er sich angemeldet. Für Mohammad ist ein gutes Bildungssystem entscheidend für die Wahl des Ziellandes. „Europa, vor allem Schweden und Deutschland, ist eine gute Option, aber auch Malaysia wäre eine Möglichkeit“, sagte der junge syrische Mann. „Mitten in meinem Studium, Handel und Vertrieb, musste ich aus Syrien fliehen. Das Regime hat alle jungen Männer dazu gezwungen zu kämpfen. Tausenden ging es so wie mir: Wir ergriffen die Flucht, weil wir kein Teil dieses Krieges sein wollten.“
Ibtisam sorgt sich am meisten über die Entwicklung und Zukunft ihrer Kinder. Auch dass die vier in ihrem Heimatland viele Leichen und herumliegende Körperteile sehen mussten, quält die Mutter. Das jüngste ihrer Kinder ist fünf Jahre alt, das älteste zehn. „Meine beiden Kinder im Schulalter gehen zur Schule. Die Qualität der Bildung ist aber problematisch, vor allem in Hinsicht auf die Zukunft.“ Ibtisam erwägt ihren Kindern zuliebe zu emigrieren, wie sie sagte. „Aber ich würde das Risiko niemals eingehen, illegal irgendwo hin zu reisen.“
Ramda zeigte sich, so wie die anderen drei auch, dankbar für die Hilfsangebote für Schutzsuchende aus Syrien. Zugleich macht die alleinerziehende Mutter aber eine der Fluchtursachen für Zehntausende Menschen aus der Region in Richtung Europa aus: „Bei größerer Unterstützung beziehungsweise ohne die Kürzungen, wäre niemand auf die Idee gekommen zu migrieren“, erklärte sie und ergänzte: „Ich hoffe wirklich sehr, dass die Unterstützung für uns nicht weiter gekürzt wird. Vor allem bei der Unterkunft und bei den Nahrungsmitteln.“
In dem rund 6,5-Millionen-Einwohner-Land Jordanien registrierte das Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) knapp 630.000 syrische Flüchtlinge, die Regierung in Amman spricht von bis 1,4 Millionen Menschen. Insgesamt befinden sich laut UNHCR zurzeit knapp 12 Millionen Syrer auf der Flucht, rund 7,6 Millionen davon im Bürgerkriegsland selbst, rund 4,2 Millionen suchten in den Nachbarländern Syriens Zuflucht.