Flüchtlinge - Spielfeld: „Jetzt sam mir Nickelsdorf“

Spielfeld (APA) - Im südsteirischen Spielfeld herrscht Donnerstagfrüh eine surreale Stimmung. Hunderte erschöpfte Menschen irren in größeren...

Spielfeld (APA) - Im südsteirischen Spielfeld herrscht Donnerstagfrüh eine surreale Stimmung. Hunderte erschöpfte Menschen irren in größeren und kleineren Gruppen auf den Straßen und in der Umgebung umher. „Train station?“ - „Nemsa, Zenter? - „Speak Arabic?“ - „Use Phone. Germany, where?“ So lauten die Fragen der desorientieren Flüchtlinge, die sich um die überall postierten Beamten und Passanten scharen.

Polizei und Bundesheer tun ihr möglichstes, um die Flüchtlinge, die sich teils zu Fuß, teils mit den rasch aufgetauchten Privattaxis, teils mit dem Zug auf eigene Faust zur Weiterreise in Europa aufgemacht haben, wieder in den Auffangbereich am alten Grenzübergang zurückzubringen. „Please go back. Germany is 700 kilometers away“ wiederholt die Stimme eines Bundesheer-Angehörigen über ein Megafon immer wieder; auch auf Arabisch und Farsi.

Mit viel Geduld gelingt das Manöver. Nach und nach kehren viele der Flüchtlinge um und marschieren entlang der alten B67 wieder zum Grenzübergang zurück. Dort ist evident, was eine Steirerin angesichts der Szenen meint, wenn sie knapp kommentiert: „Jetzt sam mir Nickelsdorf“. Tausende Menschen in und um ein Zelt, das für rund 2.000 Menschen als Sammelzentrum und Transitbereich eingerichtet ist. Auch der alte Grenzübergang gibt eine gespenstische Kulisse ab; verfallene Tankstellen, geschlossene Geschäfte, ein vermutlich noch in Betrieb stehender Lustbarkeitskomplex. Der einzige offene Kebap-Laden ist hoffnungslos überfüllt. Vor einem leeren Geschäft mit der Aufschrift „Europa Kaffee“ lagern mehrere erschöpfte Familien.

Zwischen 3.000 und 4.000 über einen halben Kontinent geflüchtete Menschen dürften es insgesamt sein, die sich mittlerweile in- und außerhalb des Grenzstreifens auf der österreichischen Seite aufhalten. So hoch schätzt einer der Polizisten vor Ort die Zahl ein. Derzeit ist trotz der Masse der Menschen die Lage friedlich. Zwei junge Flüchtlinge haben sogar den Nerv für ein lockeres Selfie. Dennoch ist eine gewisse Spannung unter den Beamten, aber auch teilweise unter den im Ungewissen schwebenden Flüchtlingen spürbar.

Nicht nur aus Syrien und dem Irak kommen die Menschen. Einige Iraner sind dabei, vereinzelt Afrikaner, Menschen, die aussehen, als kämen sie von weither, vielleicht aus Afghanistan. Die meisten sind Menschen mittleren Alters und viele Kinder. Letzteren ist die Erschöpfung am stärksten anzumerken. „Wir mussten einige Kinder nach Graz ins Spital bringen“, sagt Bernd Wippel, Einsatzleiter des Roten Kreuzes. Bisher habe es jedoch keine schweren Krankheitsfälle gegeben, betont er. Die meisten würden sich wegen Magenschmerzen oder einfachen Erkältungen an die Helfer wenden.

Decken und Winterkleidung, die die Flüchtlinge auf ihrem Weg immer wieder erhalten, werden auf der Reise rasch wieder zum unnötigen Ballast. Wenn die kalte Nacht überstanden ist und die Sonne hervorkommt, lassen viele Flüchtlinge diese Dinge einfach am Straßenrand zurück. „Wir haben die Anweisung, alles zu entsorgen. Schade drum“, sagt ein Bediensteter der Straßenreinigung aus dem nahen Leibnitz, der gerade eine wie neu Decke mit UNHCR-Aufdruck in einen schwarzen Müllsack stopft.

Unterdessen stehen im Transitbereich bereits Dutzende angemietete Busse verschiedener privater und öffentlicher Unternehmungen bereit, um die Flüchtlinge in geordneter Weise weiterzufahren. Eine Gruppe Buslenker - allesamt aus Serbien stammend, aber für ein österreichisches Unternehmen tätig, diskutiert über die aktuelle Situation. Sie wissen noch nicht, wohin sie mit den Flüchtlingen fahren werden.“Es gibt keinen Plan“, sagt einer. „Zum Beispiel gestern haben sie uns zuerst gesagt, wir sollen die Leute nach Linz bringen. Dann hieß es kurz davor: Geht nicht. Alles voll“. Letztlich habe er seine Passagiere an die deutsche Grenze nach Braunau gebracht.

Kurz nach Mittag fährt der erste Reisebus mit Flüchtlingen los. Noch immer sitzen oder gehen vereinzelt Flüchtlinge auf der Straße herum. Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer von der ÖVP war gerade da, um sich ein Bild zu machen und den Einsatzkräften persönlich zu danken und vor der Presse seiner Besorgnis über die aktuelle Entwicklung Luft zu machen. Seine Parteifreundin Innenministerin Johanna Mikl-Leitner sei ebenfalls schon nach Spielfeld unterwegs. Sie habe Verstärkungen der Einsatzkräfte zugesagt, sagt der Landeshauptmann.

Wie es weitergehen wird, weiß niemand. Weder Politiker noch Beamte, noch die Helfer, noch die Flüchtlinge selbst. Die wahren Entscheidungen fallen vermutlich an den diversen Kriegsschauplätzen und Krisenherden dieser Welt.