Bühne

Böser Schnitzler an der Wolga

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Andreas Kriegenburg stellt an der Burg seine hochkonzentrierte Sicht auf Maxim Gorkis kritisches Familienbetriebs-Drama „Wassa Schelesnowa“ vor.

Von Bernadette Lietzow

Wien – Die liebenswürdige Vorfreude auf etwaige Enkel, die sich in ihrem Gartenparadies wie „freundliche, kleine Tiere“ tummeln sollen, ist trügerisch, wenn es sich bei der Großmutter um eine Patriarchin wie Wassa Schelesnowa handelt. Verschiedene Gründe treiben sie um, die Fäden nicht aus der Hand zu geben, als Alleinerbin nach dem Tod des Ehemanns die Söhne aus dem Haus zu jagen und als Vorstandsvorsitzende einer in jeder Hinsicht gewinnorientierten Frauengemeinschaft mit Tochter, Schwiegertochter und Vertrauter ihre Idee von Zukunft zu verwirklichen – siehe oben.

Der schmale Steg, den sie im Erreichen ihrer Ziele beschreitet, schwankt heftig angesichts unvorhergesehener, von ihr nicht zu kontrollierender Ereignisse und Querschüsse aus den Kreisen der Lieben, konkurrierender Unternehmer und geschwängerter Dienstboten. Heftig schwankt auch die einem Flugdach gleichende, sich immer wieder auf und ab bewegende Lattenkonstruktion, die Harald B. Thor für das Burgtheater ersonnen hat. Darauf, im russischen Wohnraum mit Samowar, daneben, darunter, hetzen sich Gorkis Figuren in einer Art Familienaufstellung Anno 1910 ab. Was nicht ohne Witz wie ein Stummfilm mit auf Leinentücher gedruckten Ansagen anhebt, entfaltet sich zu einer schonungslosen Teilhabe an einem von Geld und Macht, Lust und Lustseuche, aber auch von der Suche nach privatem Glück getragenen Familiendrama.

Regisseur Andreas Kriegenburg verwendet nicht nur die 1910 geschriebene Urfassung des erst nach Gorkis kompletter Überarbeitung kurz nach seinem Tod 1936 uraufgeführten Dramas „Wassa Schelesnowa“, die in allen Schattierungen von Weiß gehaltenen perfekten Kostüme (Andrea Schraad) beziehen sich ebenso auf die Entstehungszeit. Christiane von Poelnitz ist Kriegenburgs beeindruckende „Übermutter“ Wassa, die ihren Behauptungswillen mit stillen, aggressiven Zuckungen bei einem Glas Wodka auslebt, ihren körperlich beeinträchtigten Sohn Pawel ebenso manipuliert wie ihren Ältesten Semjon und die ans Sterbebett des Vaters zurückgekehrte selbstbewusste Tochter Anna.

Tino Hillebrands Pawel, hinkend und berührend verloren, Martin Vischers Semjon, glaubhaft naiv wie getrieben von der Lust auf ein anderes Leben und die tolle Anna der Andrea Wenzl erfreuen als junge Mitglieder im Ensemble der Burg besonders. Frida-Lovisa Hamann als Semjons Frau Natalja und Sabine Haupt als Wassas Vertraute Dunja können, dank Kriegenburgs zugeneigter und konzentrierter Personenregie, trotz eher undankbarer Rollen ihre Bühnen-Charaktere zur Entfaltung bringen.

Für die einzige Lichtgestalt des Dramas, die wahrhaft empfindsame, Wassa von Herzen zugeneigte Ljudmila, ist Aenne Schwarz wohl die ideale Besetzung. Wunderschön, wie sie, ein gefallener Engel, dem Weiberhelden und schließlich auf Wassas Intrigen hin mit Gift geschwächten Prochor (mit Gorki-Schnauzbart und toll: Peter Knaack) zur Seite steht. Schön auch Dietmar König als Ljudmilas Vater und gefügiger, die junge Dienstbotin und Kindsmörderin Lipa (ergreifend: Alina Fritsch) in den Selbstmord treibender Verwalter.

Spannend – und was die Aktualität betrifft: Hundert Jahre sind ein Tag.

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