Türkei - Wahlkampf in einer politisch aufgewühlten Situation
Istanbul (APA) - In rund einer Woche wird in der Türkei einmal mehr ein neues Parlament gewählt. Bei der letzten Wahl am 7. Juni hatte die k...
Istanbul (APA) - In rund einer Woche wird in der Türkei einmal mehr ein neues Parlament gewählt. Bei der letzten Wahl am 7. Juni hatte die konservativ-islamische Regierungspartei AKP erstmals seit 2002 ihre absolute Mehrheit verloren. Dafür hatte die pro-kurdische HDP überraschend stark abgeschnitten und war ins Parlament eingezogen. Noch nie zuvor war dies in der Türkei einer pro-kurdischen Partei gelungen.
Weil jedoch keine mehrheitsfähige Regierung zustande kam, wurde für den 1. November eine erneuter Urnengang ausgerufen. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hofft auf eine Zwei-Drittel-Mehrheit zum Ausbau seiner Macht. AKP-Ministerpräsident Ahmet Davutoglu ist momentan Vorsitzender einer Übergangsregierung.
Wie schon bei der letzten Wahl wird es auch bei der jetzigen Abstimmung vor allem darum gehen, ob die HDP ins Parlament einzieht. Sollte der Partei der Sprung über die Zehn-Prozent-Hürde gelingen, wird die AKP erneut nicht alleine regieren können.
Insgesamt kämpfen vier Parteien um ihr Mitspracherecht im Parlament. Die Regierungspartei AKP (Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung) wurde 2001 heutigen Staatspräsident Erdogan mitgegründet. Seit August 2014 ist Ahmet Davutoglu AKP-Chef und zugleich auch Ministerpräsident. Der bis dahin amtierende Premier und Parteivorsitzende Erdogan musste diese Ämter nach der gewonnenen Präsidentenwahl im August 2014 niederlegen.
Die CHP (Republikanische Volkspartei) ist die größte Oppositionspartei, und zugleich auch die älteste Partei des Landes. Die säkulare und kemalistisch-sozialdemokratische politische Kraft wurde 1923 vom Republikgründer Mustafa Kemal Atatürk gegründet, und war bis 1950 ununterbrochen an der Macht. Danach konnte die CHP lediglich die Parlamentswahlen 1973 und 1977 für sich gewinnen. Seit 2010 ist Kemal Kilicdaroglu Vorsitzender der CHP.
Die nationalistische MHP (Partei der Nationalistischen Bewegung) ist die zweitgrößte Oppositionspartei der Türkei und ging 1969 aus der Republikanischen Bauern-Volkspartei (CKMP) hervor. Gegründet wurde die Partei von dem Rechtsextremisten Alparslan Türkes. Die Nationalisten konnten in den 70er-Jahren in einer Koalition mitregieren. Seit 1997 ist Devlet Bahceli der MHP-Vorsitzende.
Die HDP (Demokratische Partei der Völker) ist die jüngste politische Oppositionspartei, die gegen die AKP antritt. Die Partei wurde 2012 von gemäßigten linken Gruppen mit dem Ziel gegründet, neben Kurden auch religiöse Minderheiten wie die Aleviten und Randgruppen wie etwa Homo- und Transsexuelle anzusprechen. Parteivorsitzende sind Figen Yüksekdag und Selahattin Demirtas. Damit ist die HDP die einzige Oppositionsparte, die eine Doppelspitze hat
Einer am Mittwoch veröffentlichten Wahlumfrage zufolge muss sich die AKP nach dem 1. November erneut nach einem Koalitionspartner umschauen. Die Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Konda kam zu dem Ergebnis, dass die AKP wieder 40,9 Prozent der Stimmen holen werde. Damit würde sie exakt das gleiche Ergebnis erzielen wie schon im Juni.
Die CHP würde auf 30,4 Prozent der Stimmen kommen, und damit zulegen. Bei der letzten Wahl hatte die CHP 25 Prozent geholt. Verlieren würde laut Konda die MHP. Die Ultranationalisten würde nun 14,3 holen, zuletzt waren sie noch auf 16 Prozent gekommen.
Die HDP würde laut Erhebung erneut den Einzug ins Parlament schaffen, allerdings auch Stimmen verlieren. So hätten 11,8 Prozent der Befragten angegeben, der HDP diesmal ihre Stimme zu geben. Zuletzt hatte sie noch 13 Prozent geholt.
Zu dem politischen Chaos kam nun eine Gewaltwelle hinzu. Denn in den vergangenen Monaten hat es drei Terroranschläge auf Veranstaltungen gegeben, die von kurdischen und linken Aktivisten organisiert wurden. Am 5. Juni, zwei Tage vor der Parlamentswahl, explodierte bei einer HDP-Veranstaltung im südostanatolischen Diyarbakir ein Sprengsatz. Zwei Menschen starben, mehr als 100 Menschen wurden verletzt.
Am 20. Juli riss ein Selbstmordattentäter 33 prokurdische Aktivisten in der türkisch-syrischen Grenzstadt Suruc mit in den Tod. Danach brach der Friedensprozess zwischen Ankara und der PKK zusammen. Seitdem gab es Hunderte von Toten bei Gefechten zwischen türkischen Sicherheitskräften und den kurdischen Rebellen. Medien berichten, im Südosten des Landes würden sich bürgerkriegsähnliche Zustände abspielen.
Am 10. Oktober sprengten sich in der Hauptstadt Ankara zwei Selbstmordattentäter in die Luft. Dies war der schlimmste Anschlag in der jüngeren Geschichte der Türkei, mehr als hundert Menschen kamen dabei ums Leben, mehr als 500 Menschen seine laut Medienberichten verletzt worden.
Ankara vermutet hinter all den drei Anschlägen die Jihadistenmiliz „Islamischer Staat“ (IS). Bisher hat sich die Terrormiliz aber zu keinem der Attentate bekannt. Die Kurden sehen die Regierung selbst als Drahtzieher des Terrors.
Wegen der angespannten Stimmung findet der Wahlkampf anders als sonst üblich kaum auf den Straßen statt. Nach dem Terroranschlag in Ankara hat die HDP alle großen Wahlkampfveranstaltungen abgesagt. Überhaupt organisieren die Oppositionsparteien viel weniger Kundgebungen, als bei der letzten Wahl. Die AKP hingegen ruft für den Sonntag (25. Oktober) zu einer Wahlkampfveranstaltung in Istanbul auf, zu der sie hunderttausend Menschen erwartet. Aus Sicherheitsgründen hat die Regierung verordnet, die Umstellung von der Sommer- auf die Winterzeit zu verschieben. So können die Wahllokale am 1. November noch vor Sonnenuntergang geschlossen werden.