Historiker Jagschitz 2:“Leider hat Portisch das Fernsehen vernichtet“

Wien (APA) - APA: Mit dem Haus der Geschichte wird momentan der Versuch unternommen, die Geschichte der Republik auf den Punkt und unter die...

Wien (APA) - APA: Mit dem Haus der Geschichte wird momentan der Versuch unternommen, die Geschichte der Republik auf den Punkt und unter die Leute zu bringen.

Gerhard Jagschitz: Ich bin ein alter Ausstellungsmacher. Grundsätzlich ist die Darstellbarkeit von Geschichte ein wichtiger Faktor. Weil es nutzt mir nichts, wenn ich mir ein Foto von beispielsweise einer Heimwehruniform anschaue, es ist auch das Haptische notwendig. Ich bin grundsätzlich dafür, Geschichte darzustellen. Es ist nur die Frage, muss es dieses Haus der Geschichte sein. Ich wäre eher dafür, zeitgeschichtliche Aktivitäten in ganz Österreich zu verbinden und ein Netzwerk als Haus der Geschichte zu machen - mit nur einem kleinen Zentrum. Das Vorhaben ist nicht von vornherein zum Scheitern verurteilt. Aber wenn sie nur das Haus der Geschichte machen, als alleinstehendes Projekt, dann ist es sicher eine Fehlkonstruktion.

APA: Worauf muss man jedenfalls achten?

Jagschitz: Was ich mitgeben will: Man muss eine möglichst große Distanz haben. Wie in der Muppetshow: Da sind zwei Alte, die oben in der Loge sitzen und immer dazwischen plaudern - man muss eher in die Loge und nicht selbst mitspielen. Eine Möglichkeit wäre, die Auseinandersetzung vor Ort stattfinden zu lassen. Zu sagen, es gibt nicht die darstellbare Geschichte, es gibt viele persönliche und kollektive Zugänge. Das ist auch ein Problem, weil es den Konsens in der Zeitgeschichte nicht gibt. Es gibt „die“ österreichische Geschichte nicht und damit auch nicht ihre Darstellbarkeit. Ich bin gespannt, wie sie das machen.

APA: Schon der Standort in der Neuen Burg hat zu heftigen Debatten geführt.

Jagschitz: Der Heldenplatz ist natürlich mythisiert und mit ungeheuren Bildern versehen. Andererseits ist die Burg ein sehr stark historisch besetzter Ort. Auch die Nationalbibliothek ist ja nicht zufällig dort. Sie will das Hirn der Gesellschaft sein - und zwar dort, wo der Kaiser früher war. Als Standort ist die Neue Burg sehr geschichtsträchtig, aber so gut wie jeder andere. Ein Problem ist, dass man sich da irgendwie hineinzwängt - und vielleicht nicht genug Platz haben wird. Dazu kommt die unselige Abhängigkeit von der Nationalbibliothek, die hat gar nichts mit dem Haus der Geschichte zu tun. Das ist machtpolitisch ein Unsinn, wissenschaftspolitisch noch ein viel größerer.

Ein weiteres Problem ist der Balkon: Er soll musealisiert werden. Das ist ein altes architektonisches Element aus der Bauzeit. Dass da zufällig ein Hitler war, der darauf herumgebrüllt hat, ist nett, aber nur ein Beistrich in der Geschichte. Das sollte man nicht so hoch heben. In den Bergen zieht gerne Nebel auf, daher werden bei den Schutzhütten Pflöcke eingeschlagen, damit man weiß: Aha da geht es jetzt weiter. Die Zeitgeschichte müsste Pflöcke einschlagen und nicht irgendeinen Balkon so aufblasen. Dadurch wird die Geschichte verkitscht. Da können sie gleich den Lugner als Direktor nehmen.

APA: Kann Geschichtsvermittlung grundsätzlich so funktionieren?

Jagschitz: Es ist nur ein ganz kleiner Teil. Zeitgeschichtliche Vermittlung muss eine ganzheitliche sein. Es geht darum, auf vielen Ebenen zu arbeiten, vom zeitgeschichtlichen Film über Schülerprojekte bis hin zu Seniorenrunden. Man muss für jeden das entsprechende Essen bereiten. Leider hat Hugo Portisch das ganze Fernsehen vernichtet. Zeitgeschichte im Fernsehen ist nur noch Portisch, das ist eine Katastrophe. Das war für seine Zeit wunderbar, aber jetzt kann ich das doch nicht immer wieder aufwärmen. Die Filmdokumente sind spannend, es ist auch legitim, sie zu wiederholen - aber die Interpretation ist längst durch die Forschung überholt. Niemand versteht, dass das ein Problem ist. Es gibt sehr viele Themen, die wirklich spannend fürs Fernsehen wären - derzeit ist aber alles entweder im Universum History vergraben oder wird eingekauft. Das ist für Identität oder Identitätsarbeit zu wenig.

(Das Interview führte Barbara Wakolbinger/APA)