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„Das Gewicht ist für viele Männer ein Thema“

Wann ist ein Mann ein Mann? – Aus männlicher Sicht gehören Sport und Fitness dazu, eine neue Studie zeigt allerdings, dass nicht wenige Männer ein krankhaftes Verhalten haben, wenn es ums Sporteln und Essen geht.
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Essstörung, typisch Frau? Wesentlich mehr Männer sind von krankhaftem Essverhalten betroffen als bisher vermutet. Das zeigt eine neue, bis dato unveröffentlichte Gesundheitsstudie an Männern zwischen 40 und 70 Jahren an der Klinik Innsbruck.

Von Liane Pircher

Innsbruck –Es ist international eine der ersten Studien über das Essverhalten und psychische Wohlbefinden von Männern mittleren Alters, die soeben an der Innsbrucker Klinik ausgewertet worden ist. Über viele Monate hinweg wurden Tiroler Männer zwischen 40 und 70 Jahren für diese Gesundheitsstudie gesucht: „Es mag nach einem Klischee klingen, aber es war sehr, sehr schwierig, Männer zu finden, die bereitwillig über sich und ihre psychische Gesundheit Auskunft geben wollen“, erklärt Prof. Barbara Mangweth-Matzek, Leiterin der Studie an der Klinik für Psychosomatische Medizin.

Letztendlich nahmen 470 Männer daran teil – vorwiegend aus dem Raum Innsbruck. Ein Ergebnis der Studie sorgt selbst unter den Wissenschaftern für Überraschung, denn: Knapp sieben Prozent der befragten Männer hatten auf verschiedene Art und Weise mit einem krankhaften Essverhalten und ihrem Körperbild zu kämpfen. Bis dato wurde das Thema Essstörung vor allem jungen Frauen zugeordnet, Männer galten – abgesehen von Einzelfällen oder Sonderfällen im Spitzensport – als wenig betroffen. „Diese Studie zeigt, dass Männer bei dem Thema fast gleichauf mit Frauen liegen“, sagt Mangweth-Matzek. Frauen mögen früher gefährdet sein, ihr Anteil der Betroffenheit liege aber nicht weit von den Männern entfernt: „Bei Frauen geht man von bis zu 10 Prozent Betroffenheit aus, wir kommen in unserer Studie auf 7 Prozent bei den Männern.“

Einzig im Wie gebe es große Unterschiede: Während betroffene Frauen u. a. häufig unter Fress­attacken mit anschließendem Sich-übergeben-Müssen (Bulimie) leiden, gehen viele Essstörungen bei Männern mit einer Sportsucht einher: „Betroffene missbrauchen Sport häufig als Regulator fürs Gewicht in einem pathologischen Ausmaß. Sie üben Sport exzessiv aus, quälen sich dafür oft, um ihr Körpergewicht unter Kontrolle zu halten. Sie muten ihrem Körper Strapazen zu, die gesundheitsschädlich sind“, sagt Mangweth-Matzek.

Für die Psychologin sind die Ergebnisse für eine breite Masse aussagekräftig: „Die Gesellschaft hat sich gewandelt, Männer sind heutzutage von vielen Themen, die früher als typisch weiblich galten, genauso betroffen. Die Dunkelziffer liegt wahrscheinlich, wie bei den Frauen, noch höher“, so die Studienleiterin. Insgesamt hätte die Studie gezeigt, dass die meisten Männer gesund und fit sind, „aber nicht wenige große Probleme haben“.

Dass viele Männer mittleren Alters mit ihrem Leben weniger zufrieden sind als in jungen Jahren (50 % sind der Meinung, dass sich das Wohlbefinden ab 40 verschlechtert) hat für Mangweth-Matzek u. a. damit zu tun, dass in diesen Lebensabschnitt die Andro-Pause – eine Art Menopause der Männer – falle: „Weniger Lebensfreude hat auch mit dem Abfall des Testosterons zu tun.“ Anders als Frauen hätten Männer diesbezüglich aber weniger Bewusstsein. Die Studie wird demnächst international in Fachmagazinen publiziert. Nachdem es bis dato nur wenige Daten über das Essverhalten und Wohlbefinden von Männern mittleren Alters gibt, wird die Studie auch international für Aufmerksamkeit sorgen. Für Mangweth-Matzek ist diese „die erste Annäherung an ein wichtiges Thema, über das es zu wenig empirische Ergebnisse gibt“. Man müsse hier stärker forschen, um mehr Tabuthemen für Männer zu brechen.

So fühlen sich Tirols Männer

Befragt wurden 470 Männer zwischen 40 und 70 Jahren u.a. zu Lebenszufriedenheit, Körpergefühl und Ernährung. Fünf Ergebnisse aus vielen im Überblick:

  1. Erschöpft. 58 Prozent der Männer fühlen eine körperliche Erschöpfung und ein Nachlassen der psychischen und physischen Tatkraft. Dieses persönliche Gefühl steigt mit zunehmendem Alter.
  2. Gewicht und Essen. 48 Prozent sind mit ihrer Figur zufrieden. 6,8 Prozent beschreiben allerdings ein atypisches Essverhalten, das u.a. mit Fressattacken, dem Verlust von Esskontrolle oder krankhaftem Diät- oder Sportverhalten einhergeht.
  3. Libido. Die Hälfte der befragten Männer gab an, dass ihre Libido abnimmt bzw. sich im Laufe der Jahre verändert hat. 53 Prozent sagen, dass ihre Potenz deutlich nachgelassen hat.
  4. Depression. 30 Prozent der Männer gaben an, unter depressiven Verstimmungen zu leiden, zwei Drittel haben keine. 58 Prozent sind mit sich und ihrem Selbstwertgefühl zufrieden, 29 Prozent sehr zufrieden.
  5. Wohlbefinden. 63 Prozent empfinden, dass ihr Lebenshöhepunkt vorbei ist. 49 Prozent beschreiben eine Verschlechterung (leichte bis starke) ihres Wohlbefindens im Zuge des Älterwerdens - je älter desto stärker. 23 Prozent haben Gelenksbeschwerden.