Schandfleck der Trauminsel: Mallorcas Drogendorf soll schöner werden
Palma de Mallorca (dpa) - In Minutenabständen heben die Flugzeuge am Horizont der Barackensiedlung ab. „Ich würde gern nach Deutschland reis...
Palma de Mallorca (dpa) - In Minutenabständen heben die Flugzeuge am Horizont der Barackensiedlung ab. „Ich würde gern nach Deutschland reisen“, sagt Nano, „um ein Spiel von Bayern München oder die Fabrik von BMW zu sehen.“ Für immer würde der 23-Jährige aus Son Banya nie weggehen.
Nano ist, wie die meisten der rund 1.000 Bewohner des Dorfes auf Mallorca Angehöriger der Roma-Minderheit - in Spanien abfällig „gitanos“ genannt. Sein Dorf gilt als Drogendorf. „Wir haben hier unsere Familien, wir feiern gern zusammen“, sagt er und zieht genüsslich an einem Joint. Dann erzählt er noch, dass inzwischen wesentlich weniger Junkies hier herumlungerten als früher. „Das ist echt besser geworden.“
Über das Drogengeschäft verliert Nano, der in Wirklichkeit Jose heißt, kein Wort. Es ist aber ein offenes Geheimnis, dass in Son Banya alles verkauft wird, was Junkie-Herzen höherschlagen lässt. Obwohl sich die Clans das Kokain-Geschäft laut Polizei längst mit Banden aus Südamerika und Nigeria teilen müssen, gilt die Siedlung unweit des Flughafens und hinter den Großmarkthallen von Palma nach wie vor als am besten sortierter „Drogensupermarkt“ der Insel.
Nach einer Zählung der Zeitung „Ultima Hora“ fuhren in diesem Sommer allein an einem Wochenende rund 2.000 Autos nach Son Banya, um sich mit Stoff im Wert von insgesamt rund 175.000 Euro einzudecken. Touristen seien eine wichtige Zielgruppe, sagt ein Polizeisprecher. Diese trauten sich aber in den seltensten Fällen in die Siedlung, würden daher direkt von Dealern in den Urlauberhochburgen Arenal oder Magaluf versorgt.
Trotz dieser Erkenntnisse schauen die Ordnungshüter dem Treiben im Drogendorf mehr oder weniger untätig zu. Der letzte große Schlag gegen einen Son-Banya-Clan, bei dem die Matriarchin „La Paca“ und ein Teil ihrer weitläufigen Verwandtschaft zumindest vorübergehend hinter Gitter gebracht wurden, liegt acht Jahre zurück. Palmas Polizei gibt unumwunden zu, das Viertel nicht mehr zu betreten.
Nur manchmal positionieren sich Beamte an der Zufahrtsstraße, um Jagd auf Kunden oder kleine Dealer zu machen. Son Banya selbst ist eine Art rechtsfreier Raum. Der Anblick erinnert keinesfalls an ein Ferienparadies am Mittelmeer - eher an eine brasilianische Favela.
Auch im Rathaus von Palma geriet die Hüttensiedlung in den vergangenen Jahren in Vergessenheit. Sie wurde 1969 als Provisorium errichtet, um an der Playa ansässige „Zigeuner“, wie es oft heißt, aus dem Blickfeld der Mallorca-Urlauber zu verbannen.
Ein mallorquinischer Stadtrat mit dem deutschen Namen Eberhard Grosske wollte die Bewohner umsiedeln und das Dorf 2012 dem Erdboden gleich machen. Doch es blieb beim Umzug einiger weniger Familien und beim Abriss der Schule, den die „gitanos“ der Stadt immer noch nicht verziehen haben. Die zuständige Verwaltungsmitarbeiterin setzt seitdem aus Angst vor Übergriffen keinen Fuß mehr nach Son Banya.
Unter der neuen Linksregierung gibt es wieder Annäherungsversuche. Bürgermeister Jose Hila hat kürzlich in seiner Ratsstube sogar die Anführer Son Banyas empfangen. Darunter Antonio Amaya, den „Presidente“, der mit dem Ergebnis des Treffens sehr zufrieden ist. Die Stadt habe erstmals Mistkübel im Viertel aufgestellt, dazu mehrere Container, um den riesigen Vorplatz von Unrat und Bauschutt zu befreien. Versprochen hat Hila zudem Straßenlaternen und die Asphaltierung der von Schlaglöchern übersäten Holperpisten. Aufhübschen statt Ausradieren lautet die Devise neuerdings.
Die Umsiedlungspläne indes liegen weiter auf Eis. Zwar erteilte ein Gericht der Stadt bereits vor einem Jahr die Erlaubnis, fast die Hälfte der etwa 110 Hütten abzureißen. Doch um die Menschen anderweitig unterzubringen, fehle schlichtweg das Geld, bedauert Catalina Trobat von der Sozialabteilung im Rathaus.
Man bräuchte Sozialwohnungen, Jobprogramme und Sozialhilfen. Diejenigen, die wirklich aus Son Banya wegwollten, seien dazu finanziell nicht in der Lage. „Das sind die armen Schlucker, die möglicherweise sogar von den Clan-Chefs unterdrückt werden.“ Und diejenigen wiederum, die im Drogengeschäft abkassieren, wollten ihre Baracken um keinen Preis verlassen, obwohl einige angeblich ganze Landgüter besäßen. „Das ist das Paradoxe dieses Ortes“, so Trobat.
Wo die „Linien“ verlaufen, ist von außen nicht ersichtlich. Die Hütten sind allesamt etwa gleich heruntergekommen, als Anhaltspunkte dienen höchstens die davor geparkten Autos. Neben verbeulten Kleinwagen stehen nagelneue Limousinen und schicke Sportflitzer.
Beim Hinausfahren grüßt „Presidente“ Amaya vom Beifahrersitz eines polierten schwarzen Luxus-Geländewagens. Maria, die mit 24 zwei Kinder und mehrere Zahnlücken hat und gerade in Leggins und mit Flip-Flops aus einer Hütte schlurft, ist sichtlich bemüht, ihre Tür schnell zuzuziehen. Zu erspähen sind ein riesiger Fernseher und eine teure Küche. Will sie aus Son Banya weg? Maria zögert nicht: „Ich bleibe hier, hier bin ich schon mein ganzes Leben.“